Der Graf von Monte Christo
ein Pferd für Herrn von Morcerf! Schnell, es ist dringend!
Ich danke, rief der junge Mann, sich in den Sattel schwingend und wollte fortjagen, hielt aber noch einmal an und sagte: Sie finden vielleicht meine Abreise seltsam, unnatürlich, wahnsinnig! Sie begreifen vielleicht nicht, wie ein paar Zeilen in einem Journal einen Menschen in Verzweiflung bringen können; nun wohl, lesen Sie diese Nachricht hier, aber erst, wenn ich fort bin, damit Sie meine Schamröte nicht sehen.
Und während der Graf die Zeitung nahm, gab Morcerf dem Roß die Sporen und flog davon.
Der Graf schaute dem jungen Manne mit einem Gefühle unendlichen Mitleids nach, und erst, als er völlig verschwunden war, wandte er seine Blicke auf die Zeitung und las wie folgt:
Der französische Offizier im Dienste Alis, Paschas von Janina, über den vor drei Wochen der Impartial eine Mitteilung brachte, und der nicht nur die Schlösser von Janina übergab, sondern auch seinen Wohltäter an die Türken verkaufte, hieß wirklich Fernand, wie angegeben wurde. Doch seitdem hat er seinem Namen einen adeligen Titel hinzugefügt.
Er heißt gegenwärtig Graf von Morcerf und ist Mitglied der Kammer der Pairs
So erschien also das furchtbare Geheimnis, das Beauchamp so edelmütig begraben hatte, abermals wie ein schreckendes Gespenst zwei Tage, nachdem Albert nach der Normandie abgereist war, in einer andern Zeitung.
Das Urteil.
Um acht Uhr morgens traf Albert bei Beauchamp wie der Blitz ein. Der Kammerdiener war unterrichtet; er führte Morcerf in das Zimmer seines Herrn.
Nun! sagte Albert zu ihm.
Armer Freund, ich erwarte Sie, erwiderte Beauchamp.
Hier bin ich. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Beauchamp, daß ich Sie für zu rechtschaffen und zu gut halte, um mit irgend jemand hierüber gesprochen zu haben; nein, mein Freund. Überdies ist mir der Bote, den Sie mir schickten, ein Bürge für Ihre Zuneigung, Verlieren wir also keine Zeit mit Umschweifen! Haben Sie eine Ahnung, von welcher Seite dieser Schlag kommt?
Ich werde Ihnen sogleich zwei Worte sagen.
Doch vorher, Freund, müssen Sie mir alle Einzelheiten dieses abscheulichen Verrates mitteilen.
Beauchamp berichtete hierauf dem vor Scham und Schmerz niedergebeugten jungen Mann kurz folgendes.
Zwei Tage vorher war der Artikel in einer Zeitung erschienen, die unter dem Einfluß der Regierung stand, was der Sache noch mehr Gewicht verlieh. Beauchamp frühstückte, als ihm die Nachricht zu Gesicht kam; er eilte, ohne sein Mahl zu vollenden, in das Bureau der Zeitung. Obgleich der Redakteur eine andere politische Richtung vertrat wie Beauchamp, war er doch dessen vertrauter Freund.
Als er zu ihm kam, las der Redakteur sein eigenes Blatt.
Ah, bei Gott! rief Beauchamp, da Sie Ihre Zeitung in der Hand haben, mein lieber so brauche ich Ihnen nicht zu sagen, was mich hierher führt.
Ich wüßte nicht; doch warum kommen Sie?
Wegen des Artikels über Morcerf.
Ah! ja; nicht wahr, das ist seltsam?
So seltsam, daß Sie sich der Gefahr aussetzen, einen sehr zweifelhaften Verleumdungsprozeß an den Hals zu bekommen.
Keineswegs; wir haben mit der Zuschrift alle Beweisstücke empfangen und sind fest überzeugt, daß Herr von Morcerf sich ruhig verhalten wird. Überdies heißt es dem Lande einen Dienst leisten, wenn man die Elenden bloßstellt, die der Ehre unwürdig sind, die man ihnen erweist.
Beauchamp war verblüfft.
Aber wer hat Sie denn so gut unterrichtet? fragte er, denn meine Zeitung, welche die Sache zuerst angeregt hatte, mußte sie in Ermangelung von Beweisen fallen lassen, und wir sind doch mehr dabei interessiert, als Sie, Herrn von Morcerf an den Pranger zu stellen, da er Pair von Frankreich ist und wir die Regierung angreifen.
Lieber Freund, wir sind dem Skandal nicht nachgelaufen, er hat uns aufgesucht. Es kam gestern ein Mensch von Janina an, der den ganzen Aktenstoß mitbrachte, und als wir Anstand nahmen, die Anklage gegen den Grafen zu erheben, bemerkte er, er werde sich an eine andere Zeitung wenden. Sie wissen, Beauchamp, was eine wichtige Nachricht ist; wir wollten uns diese nicht entgehen lassen. Nun ist der Schlag getan; er ist furchtbar und wird bis an das Ende Europas widerhallen.
Beauchamp entfernte sich in Verzweiflung, um einen Kurier an Morcerf abzuschicken.
Was er aber Albert nicht hatte schreiben können, – denn es geschah nach der Abreise seines Kuriers, – war, was an demselben Tage in der Kammer der Pairs vor sich ging. Fast alle Pairs waren früher
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