Der Graf von Monte Christo
in Paris findet?
Der Graf von Monte Christo, mein zweiter Vater, ist seit drei Tagen in der Normandie.
Doch wer hat Ihnen diesen Schritt geraten, für den Ihnen die Kammer dankbar ist, und der auch nach Ihren Leiden nur natürlich erscheinen kann.
Mein Herr, antwortete Haydee, dieser Schritt ist mir von meiner kindlichen Ehrfurcht und von meinem Schmerze eingegeben worden. Gott vergebe mir! Obgleich Christin, dachte ich stets daran, meinen erhabenen Vater zu rächen. Als ich den Fuß auf die Erde Frankreichs setzte, als ich erfuhr, der Verräter wohne in Paris, waren meine Augen und Ohren beständig offen. Ich lebe zurückgezogen in dem Hause meines edlen Beschützers, doch ich lebe so, weil ich den Schatten und die Stille liebe, die mir in meinen Gedanken und in der Sammlung meines Geistes zu leben gestatten. Aber der Graf von Monte Christo umgibt mich mit seiner väterlichen Sorge, und alles, was das Leben ausmacht, ist mir vertraut, wenn es auch nur, wie aus der Ferne an mein Ohr schlägt. So lese ich alle Zeitungen, wie man mir alle illustrierten Blätter und alle Musikalien zukommen läßt; ich erfuhr daher, was heute morgen in der Kammer der Pairs vorgefallen war, und was heute abend geschehen sollte ... dann schrieb ich. Der Graf hatte während dieser ganzen Zeit keinen Teil an Ihrem Schritte?
Er weiß durchaus davon, und ich fürchte sogar, er mißbilligt ihn, wenn er ihn erfährt. Es ist indessen ein schöner Tag für mich, fuhr das Mädchen fort, einen flammenden Blick zum Himmel aufschlagend, dieser Tag, an dem ich endlich Gelegenheit finde, meinen Vater zu rächen!
Der Graf hatte während dieser ganzen Zeit nicht ein einziges Wort gesprochen; seine Kollegen schauten ihn an und beklagten ohne Zweifel den unter der Anklage einer Frau erfolgenden Zusammenbruch eines angesehenen Lebens: Sein Unglück prägte sich allmählich in den finsteren Zügen seines Antlitzes aus.
Herr von Morcerf, sagte der Präsident, erkennen Sie in dieser Frau die Tochter von Ali Tependelini, Pascha von Janina? – Nein, sagte Morcerf, indem er sich zu erheben versuchte, es ist dies ein von meinen Feinden angezetteltes Gewebe.
Haydee, die ihre Augen auf die Tür geheftet hatte, wandte sich ungestüm um, stieß, als sie den Grafen wieder aufrecht sah, einen furchtbaren Schrei aus und rief: Du erkennst mich, nicht; wohl, aber ich erkenne dich! Du bist Fernand Mondego, der fränkische Offizier, der die Truppen meines edlen Vaters unterrichtete. Du bist es, der die Schlösser von Janina übergeben hat! Du hast, von ihm nach Konstantinopel geschickt, um mit dem Sultan über Leben oder Tod deines Wohltäters zu unterhandeln, einen falschen Ferman zurückgebracht, in dem ihm vollständige Begnadigung zugestanden war. Du bist es, der mit diesem Ferman den Ring des Paschas erhielt, der dir bei Selim, dem Feuerwächter, Gehorsam verschaffen sollte; du bist es, der Selim erdolchte und meine Mutter und mich verkaufte! Mörder! Mörder! Du hast noch auf deiner Stirn das Blut deines Herrn; schaut alle!
Diese Worte wurden mit einer solchen Kraft und Begeisterung der Wahrheit gesprochen, daß aller Augen sich nach der Stirn des Grafen wandten und er selbst mit der Hand danach fuhr, als ob Alis Blut noch warm daran klebte.
Sie erkennen also ganz bestimmt in Herrn von Morcerf den Offizier Fernand Mondego?
Ob ich ihn erkenne! rief Haydee. Oh! meine Mutter! Sie sagte zu mir: Mein Kind! Du warst frei, du hattest einen Vater, der dich liebte, du warst bestimmt, beinahe eine Königin zu sein! Schau diesen Menschen wohl an, er hat dich zur Sklavin gemacht, er hat auf einem Spieße das Haupt deines Vaters fortgetragen, er hat uns verkauft! Schau genau seine rechte Hand an, sie hat eine breite Narbe; würdest du sein Gesicht vergessen, so müßtest du ihn an dieser Hand wiedererkennen, in die der Kaufmann El-Kobbir ein Goldstück nach dem andern hat fallen lassen! – Ob ich ihn wiedererkenne! Oh! er mag nur sagen, ob er mich nicht wiedererkennt!
Jede Silbe fiel wie ein Messer auf Morcerf und schnitt einen Teil seiner Energie ab; bei den letzten Worten verbarg er rasch und unwillkürlich seine in der Tat von einer Wunde verstümmelte Hand und fiel, in düstere Verzweiflung versunken, auf seinen Stuhl zurück.
Herr von Morcerf, sagte der Präsident, lassen Sie sich nicht niederbeugen, antworten Sie! Die Gerechtigkeit des Pairshofes ist erhaben und gleich für alle, wie die Gerechtigkeit Gottes; sie wird Sie nicht durch Ihre Feinde zu Boden treten
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