Der Graf von Monte Christo
lassen, ohne Ihnen die Mittel zu gönnen, sie zu bekämpfen. Wollen Sie neue Nachforschungen? Soll ich Befehle zu einer Reise von zwei Kammermitgliedern nach Janina geben?
Morcerf antwortete nicht. – Da schauten sich die Mitglieder der Kommission voll Schrecken an. Man kannte den energischen und heftigen Charakter des Grafen. Es bedurfte einer furchtbaren Niederschmetterung, um die Widerstandskraft dieses Mannes zu vernichten.
Die Tochter von Ali Tependelini, sagte der Präsident nach einer Pause, hat also wirklich die Wahrheit gesagt? Sie ist also wirklich der furchtbare Zeuge, dem der Schuldige kein Nein zu entgegnen wagt? Sie haben also wirklich dies alles begangen, dessen man Sie beschuldigt?
Der Graf warf einen Blick umher, dessen verzweifelter Ausdruck Tiger gerührt hätte, seine Richter aber nicht zu entwaffnen vermochte. Mit einer ungestümen Bewegung riß er seinen Rock auf, der ihn zu ersticken drohte, und stürzte wie ein Wahnwitziger aus dem Saal; einen Augenblick ertönte noch sein Tritt im Gange, dann erschütterte das Rollen des Wagens, der ihn im Galopp davonführte, den Palast.
Meine Herren, sagte der Präsident, als es wieder still geworden war, ist der Herr Graf von Morcerf der Untreue, des Verrates und der Unwürdigkeit überwiesen? – Ja, antworteten einstimmig alle Mitglieder der Kommission.
Haydee hatte der Sitzung bis zum Ende beigewohnt; sie hörte über den Grafen das Urteil fällen, ohne daß ein Zug ihres Gesichtes Freude oder Mitleid ausdrückte. Dann zog sie ihren Schleier wieder vor das Gesicht, grüßte majestätisch und ging hinweg.
Die Forderung
Nun benutzte ich das Stillschweigen und die Dunkelheit des Saales, um mich, ohne gesehen zu werden, zu entfernen, mit einem im Gedanken an dich gebrochenen Herzen, schloß Beauchamp seinen Bericht.
Albert hielt seinen Kopf zwischen seinen Händen, hob sein Antlitz rot und in Tränen gebadet empor, ergriff Beauchamp am Arm und sagte: Freund, mein Leben ist aus; ich muß den Menschen suchen, der mich mit seiner Feindschaft verfolgt. Sobald ich diesen Menschen kenne, töte ich ihn, oder er tötet mich; ich zähle jedoch auf die Stütze Ihrer Freundschaft, Beauchamp, wenn dieses Gefühl in Ihrem Herzen noch nicht durch Verachtung ertötet ist.
Verachtung, mein Freund? Wie können Sie so sprechen! Nein, Gott sei Dank, wir leben nicht mehr in einer Zeit, wo ein ungerechtes Vorurteil die Söhne für die Handlungen der Väter verantwortlich macht. Überschauen Sie Ihr ganzes Leben, Albert; es ist freilich erst ein Anfang, aber nie war die Morgenröte eines schönen Tages reiner, als Ihr Sonnenaufgang. Nein, Albert, glauben Sie mir, Sie sind jung, Sie sind reich; verlassen Sie Frankreich, alles vergißt sich schnell in diesem großen Babylon. Sie kommen in drei oder vier Jahren zurück, und niemand denkt mehr an das, was vorgefallen ist, noch viel weniger an das, was sich vor sechzehn Jahren ereignete.
Ich danke, lieber Beauchamp, ich danke für die vortreffliche Absicht, die Ihnen diese Worte eingibt; aber Sie begreifen, da ich in dieser Angelegenheit persönlich beteiligt bin, kann ich sie nicht aus demselben Gesichtspunkte ansehen, wie Sie. Ich wiederhole Ihnen, Beauchamp, wenn Sie noch mein Freund sind, wie Sie sagen, so helfen Sie mir die Hand finden, die den Schlag geführt hat.
Es sei! Ist es Ihre Absicht, Nachforschungen nach einem Feinde anzustellen, so stelle ich sie mit Ihnen an. Und ich werde ihn finden, denn meine Ehre ist hierbei beinahe ebensosehr beteiligt, wie die Ihrige.
Dann beginnen wir auf der Stelle, ohne Verzug unsere Nachforschungen. Jede Minute Verzug ist eine Ewigkeit für mich; der Denunziant ist noch nicht bestraft, er kann also hoffen, er werde nicht bestraft werden; und bei meiner Ehre! wenn er dies hofft, so täuscht er sich.
Wohl, so hören Sie, Morcerf.
Ah! Beauchamp, ich sehe, Sie wissen etwas; Sie geben mir das Leben wieder!
Ich sage Ihnen nicht, es sei Gewißheit, Albert, aber es ist wenigstens ein Licht im Dunkel; folgen wir diesem Lichte, und es wird uns vielleicht zum Ziele führen.
Sprechen Sie, die Ungeduld verzehrt mich.
Gut! ich will Ihnen erzählen, was ich Ihnen nicht sagen wollte, als ich von Janina zurückkam. Hören Sie also! Ich ging natürlich zum ersten Bankier der Stadt, um Erkundigungen einzuziehen; nach zwei Worten sagte er mir, ehe ich den Namen Ihres Vaters ausgesprochen hatte: Ah, sehr gut! ich errate, was Sie hierher führt. – Wieso? – Weil ich vor kaum vierzehn
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