Der Graf von Monte Christo
Grotten, sagte Jacopo.
Kalter Schweiß floß über Dantes' Stirn. Es gibt keine Grotten auf Monte Christo? fragte er.
Nein.
Dantes blieb einen Augenblick ganz betäubt; dann dachte er, die Grotten könnten seit kurzer Zeit durch irgend einen Zufall ausgefüllt, vielleicht gar aus Vorsicht vor dem Kardinal Spada verstopft worden sein. Es hing in diesem Falle alles davon ab, daß man die verlorene Öffnung wiederfand; sie in der Nacht zu suchen, war unnütz, und Dantes verschob daher die Nachforschung auf den andern Tag. Ein Signal, das auf eine halbe Stunde in der See gegeben wurde, und das die Amalie sogleich erwiderte, deutete überdies an, daß der Augenblick, das Geschäft zu beginnen, gekommen war. Bald erschien das zweite Schiff, weiß und schweigsam, wie ein Gespenst, und ankerte eine Kabellänge vom Ufer. Sogleich begann das Überladen.
Während der Arbeit stellte sich Dantes vor, welches freudige Hurra er seinen Begleitern mit einem einzigen Wort entlocken könnte, wenn er dem Gedanken lauten Ausdruck gäbe, der beständig leise in seinem Ohre und in seinem Herzen widerhallte. Statt aber sein Geheimnis zu enthüllen, fürchtete er im Gegenteil nur das eine, er habe schon zuviel gesagt und durch sein Hin- und Hergehen, durch seine ängstlichen Beobachtungen und durch seine Unruhe Verdacht erregt. Unter diesen Umständen und für seinen Zweck war es noch ein Glück, daß die jahrelangen schmerzlichen Erlebnisse im Kastell If seinem Antlitz den unvertilgbaren Ausdruck tiefer Schwermut ausgeprägt hatten und die Strahlen von Heiterkeit, die zuweilen unter dieser Wolke hervorbrachen, glichen in der Tat nur Blitzen, welche die vorhergehende und nachfolgende Düsterkeit um so schärfer hervortreten ließen.
Kein einziger von seinen Genossen ahnte auch nur das geringste von Dantes Vorhaben, und als er amandern Tage, ein Gewehr, Pulver und Blei nehmend, das Verlangen äußerte, eine von den zahlreichen wilden Ziegen zu schießen, die man von Fels zu Fels springen sah, schrieb man seinen Ausflug nur der Liebe zur Jagd zu. Jacopo allein bat dringend, ihm folgen zu dürfen. Dantes wollte sich nicht widersetzen, aus Furcht, durch sein Widerstreben gegen die Begleitung Verdacht zu erregen. Aber kaum war er eine Viertelstunde gegangen und hatte Gelegenheit gefunden, eine junge Ziege zu erlegen, so schickte er Jacopo mit ihr zu seinen Gefährten zurück, wobei er den Auftrag gab, sie braten zu lassen und ihm, wenn sie fertig wäre, durch einen Flintenschuß ein Zeichen zu geben. Einige getrocknete Früchte und eine Flasche Wein von Montepulciano sollten das Mahl vervollständigen. Dantes setzte seinen Weg, sich von Zeit zu Zeit umwendend, fort. Auf der Spitze eines Felsens angelangt, sah er tausend Fuß unter sich seine Gefährten, mit denen Jacopo wieder zusammengetroffen war, bereits emsig mit der Zubereitung eines Frühstücks beschäftigt, das Edmonds Geschicklichkeit seinen leckersten Teil verdanken sollte.
Edmond betrachtete sie einen Augenblick mit dem sanften, traurigen Lächeln des überlegenen Mannes und sagte: In zwei Stunden werden diese Leute, fünfzig Piaster reicher, wieder abfahren und ihr Leben an den Versuch setzen, weitere fünfzig Piaster zu verdienen; dann werden sie mit sechshundert Livres in der Börse zurückkehren und diesen Schatz mit dem Stolze eines Sultans und dem Bewußtsein eines Nabobs verschleudern. Meine Hoffnung läßt mich heute ihren Reichtum verachten, der mir das tiefste Elend zu sein scheint; morgen wird mich die getäuschte Hoffnung vielleicht nötigen, dieses tiefe Elend als das höchste Glück zu betrachten ... Oh, nein! rief Edmond, das wird nicht der Fall sein, der unfehlbare Faria wird sich nicht in dieser einzigen Sache getäuscht haben. Überdies wäre es besser zu sterben, als dieses erbärmliche Leben zu führen. So genügte Dantes, derdrei Monate zuvor nur nach der Freiheit schmachtete, diese Freiheit schon nicht mehr, und seine ganze Sehnsucht war auf den Reichtum gerichtet.
Einem zwischen zwei Felsmauern verlorenen, wahrscheinlich durch Sturzbäche ausgehöhlten Wege folgend, den ohne Zweifel noch kein menschlicher Fuß betreten hatte, näherte sich Dantes immer mehr dem Orte, wo seiner Vermutung nach die Grotten bestanden haben mußten. Während er am Meeresstrande fortwanderte und alles mit peinlichster Aufmerksamkeit prüfte, glaubte er an einzelnen Felsen von der Hand des Menschen herrührende Einkerbungen zu bemerken.
Die Zeit schien diese Zeichen verschont zu
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