Der Graf von Monte Christo
von den Umständen Gebrauch machen, die ich Ihnen mitteilen werde, nie sagen, von wem diese Mitteilung herrührt; denn die Leute, von denen ich zu sprechen habe, sind reich und mächtig, und wenn sie mich nur mit dem Finger berührten, würden sie mich wie Glas zerbrechen.
Seien Sie unbesorgt, mein Freund, ich bin Priester, und die Bekenntnisse sterben in meiner Brust. Erinnern Sie sich, daß wir keinen andern Zweck haben als den, den letzten Willen unseres Freundes würdig zu erfüllen. Sprechen Sie also ohne Schonung, wie ohne Haß, sagen Sie die volle Wahrheit! Ich kenne die Personen nicht, von denen die Rede sein wird, und werde sie wohl nie kennen lernen; überdies bin ich Italiener und nicht Franzose; ich gehöre Gott und nicht den Menschen und kehre in mein Kloster zurück, das ich nur verlassen habe, um den letzten Willen eines Sterbenden zu vollziehen.
Dieses bestimmte Versprechen schien Caderousse einige Sicherheit zu verleihen. In diesem Falle, versetzte er, will und muß ich Ihnen die Täuschung über diejenigen benehmen, die der arme Edmond für treu und redlich hielt.
Fangen Sie mit seinem Vater an, bitte. Edmond hat mit mir viel von dem Greise gesprochen, für den er eine tiefe Liebe hegte.
Diese Geschichte ist traurig, mein Herr, erwiderte Caderousse seufzend. Sie kennen wahrscheinlich den Anfang?
Ja, versetzte der Abbé, Edmond hat mir die Sache bis zu dem Augenblick erzählt, wo er in einer kleinen Schenke in der Nahe von Marseille verhaftet wurde, und nie hat er eine von den fünf Personen wiedergesehen, die ich Ihnen nannte, nie hat er von ihnen sprechen hören.
Nun wohl, als Dantes einmal verhaftet war, lief Herr Morel weg, um Erkundigungen einzuziehen; sie fielen sehr traurig aus. Der Greis kehrte allein nach Hause zurück, legte weinend seinen Hochzeitsrock zusammen, schritt den ganzen Tag in seinem Zimmer auf und ab und ging abends nicht schlafen; denn ich wohnte unter ihm und hörte ihn die ganze Nacht umhergehen; ich muß sagen, ich schlief selbst auch nicht. Der Schmerz dieses armen Vaters tat mir sehr wehe, und jeder seiner Tritte zermalmte mir das Herz. Am andern Tage kam Mercedes nach Marseille, in der Absicht, den Staatsanwalt um seinen Schutz anzuflehen; sie erreichte nichts; sie besuchte zugleich auch den Greis. Als sie sah, daß er so düster und niedergeschlagen war, daß er die Nacht, ohne sich zu Bette zu legen, zugebracht und seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen hatte, wollte sie ihn mit sich nehmen, um ihn zu pflegen; aber der Greis willigte nicht ein. Nein, sagte er, ich werde das Haus nicht verlassen, denn mich liebt mein armer Sohn vor allen andern, und wenn er aus dem Gefängnis kommt, wird er zuerst zu mir laufen. Was würde er sagen, wenn ich ihn nicht hier erwartete? Ich belauschte dies alles durch die Wand, denn es wäre mir lieb gewesen, Mercedes hätte ihn bestimmt, ihr zu folgen; der Tag und Nacht über mir erschallende Tritt ließ mir keinen Augenblick Ruhe.
Aber gingen Sie denn nicht selbst zu dem Greise hinaus, um ihn zu trösten? fragte der Priester.
Ah! Herr, erwiderte Caderousse, man tröstet nur die, welche getröstet sein wollen, er aber wollte dies nicht. Überdies kam es mir vor, als hätte er einen Widerwillen gegen meinen Anblick. In einer Nacht jedoch, da ich sein Schluchzen hörte, konnte ich nicht widerstehen und ging hinaus; als ich jedoch an die Tür kam, schluchzte er nicht mehr, er betete. Ich kann Ihnen nicht wiederholen, welche beredten Worte, welche erbarmenswerten Bitten er fand; es war mehr als Frömmigkeit, es war mehr als Schmerz; ich, der ich kein Heuchler bin und die Jesuiten nicht liebe, sagte mir auch an diesem Tage: Es ist ein Glück, daß ich allein bin, und daß der liebe Gott mir keine Kinder geschenkt hat, denn wenn ich Vater wäre und empfände einen Schmerz, wie der arme Greis, und könnte weder in meinem Geiste, noch in meinem Herzen finden, was er dem guten Gotte sagt, so stürzte ich mich geradenwegs ins Meer, um nicht länger zu leiden.
Armer Vater! murmelte der Priester.
Von Tag zu Tag lebte er einsamer und abgeschiedener; Herr Morel und Mercedes kamen oft, ihn zu besuchen, aber seine Tür war verschlossen, und er antwortete nicht, obgleich ich bestimmt wußte, daß er zu Hause war. Als er eines Tages, gegen seine Gewohnheit, Mercedes einließ und das arme Kind, selbst in Verzweiflung, ihn zu trösten suchte, sagte er: Glaube mir, meine Tochter, er ist tot ... und statt daß wir ihn erwarten, erwartet er uns.
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