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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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kam lediglich von der Stadt hier hoch, um mir die Saltwaurstwa anzusehen.«
    »Dann mußt du ein Reisender von jenseits dieser Berge
    sein. Hier kennt jedermann diesen Ort.« Sie seufzte
    sehnsüchtig. »Liufs Guth weiß, daß ich ihn kenne.«
    »Und was bist du?« fragte ich grinsend, denn sie war wie eine vornehme Dame mit einem Jagdgewand und einem
    Umhang bekleidet. »Arbeiter oder Sklavin?«
    »Ich«, sagte sie hochnäsig, »ich bin die einzige Tochter des Minendirektors, Georgius Honoratus und heiße Livia.
    Wer bist du?«
    Ich nannte ihr meinen Namen, und wir unterhielten uns
    eine Zeitlang. Erfreut über das neue Gesicht wies mich Livia auf die verschiedenen Besonderheiten der Arbeiten hin, nannte mir die Namen der den See umgebenden Gipfel und verriet mir die Namen der Händler in der Stadt, die am ehrlichsten gegenüber Fremden waren.
    »Hast du jemals eine Salzmine von innen gesehen?«
    wollte sie schließlich wissen. Als ich verneinte, fuhr sie fort:
    »Das Innere dieser Mine ist weitaus sehenswürdiger als alles hier draußen. Komm, wir gehen zu meinem Vater und bitten um die Erlaubnis, daß ich dich in das Bergwerk
    geleiten darf.«
    »Vater, das ist Thorn, ein Neuankömmling und ein neuer Freund von mir«, stellte sie mich vor. »Thorn, erbiete dem Direktor dieses bedeutenden und uralten Unternehmens,
    Georgius Honoratus, deine Hochachtung.«
    Georgius Honoratus war ein schmächtiger Mann mit
    grauweißem Haar, der seine Pflichten offensichtlich sehr ernst nahm und die meiste Zeit unter der Erde verbrachte.
    Seine Haut war so blaß wie sein Haar. Später erzählten mir Livia und andere, daß Georgius einer der wenigen Bürger in Haustaths war, deren Linie direkt von den römischen
    Kolonisten abstammte und niemals eine Mischehe
    eingegangen war - und das niemanden vergessen ließ.
    Wenn er ein Dokument, egal wie unwichtig, unterzeichnete, fügte er stets die römische Ziffer an, die seine Generation der Familie bezeichnete. So weit ich mich erinnere, war er der XIII. oder der XIV. seiner Linie. Er hatte sich sogar aus Rom eine Frau bringen lassen, die er heiratete und die ihm bei der Geburt von Livia wegstarb. Georgius zeigte kein Zeichen anhaltender Trauer, er war mit dem Bergwerk
    verheiratet.
    Georgius hatte den Beinamen des Honoratus,
    üblicherweise den Inhabern öffentlicher Ämter oder des untersten Magistrats vorbehalten, erhalten, da er vom Rat der Stadt Haustaths, wie schon sein XII. und sein XIII.
    Vorvater, zum Direktor der Mine ernannt worden war. Wie seine Vorfahren, und wie die erbarmungswürdigen Wesen, die für ihn schufteten, war er niemals über das Tal
    hinausgekommen, noch hatte er je seinen geistigen Horizont erweitert oder auch nur danach gestrebt. Alles, was er von der Welt draußen wußte, war, daß sie einen unstillbaren Hunger auf Salz hatte. Seine beiden Söhne zog er
    gleichermaßen beschränkt und beschränkend auf wie sein Vater ihn aufgezogen hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich überhaupt erfuhr, daß Georgius Söhne hatte, zwei beziehungsweise vier Jahre älter als Livia. Falls ich sie jemals zu Gesicht bekam, dann erkannte ich sie nicht. Ihr Vater brachte ihnen ihr Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes von Grund auf bei. Zur Zeit gehörten sie zu den ledergekleideten, schwitzenden, staubbedeckten
    Bergmännern, die Säcke mit Steinsalz die Schächte
    hochschleppten.
    Manchmal fragte ich mich, ob Livias Mutter nicht doch
    etwas fremdes Blut in die Familienlinie eingeführt hatte.
    Anders konnte ich mir nicht erklären, daß Livia ihrem blaßen Vater und ihren braven Brüdern so wenig ähnelte. Sie war ein kluges, aufmerksames und lebenslustiges Kind, zu Recht unzufrieden mit dem Leben, das sie erwartete.
    Ob nun Livia wirklich Georgius' Tochter war oder nicht, er schätzte sie jedenfalls mehr als ihre Brüder, ja, fast so sehr wie das Bergwerk. Die Aussicht, daß sie einen germanisch aussehenden Fremdling zum Freund wählte, konnte ihn
    kaum begeistern. Aber angesichts des Altersunterschieds zwischen ihr und mir hatte er keinen Grund zu befürchten, daß ich sein Schwiegersohn werden könnte. So stellte er mir nur ein paar Fragen über meine Herkunft, Beschäftigung und die Gründe, warum ich in Haustaths war. Ich vermied, allzu genau auf meine Herkunft einzugehen, antwortete aber
    wahrheitsgemäß genug, Partner eines Pelzhändlers zu sein, daß wir im Sommer wenig zu tun hätten und zur Erholung hierher gekommen seien. Das schien ihn zu befriedigen, denn er

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