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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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immer neue Rinnen uns immer tiefer in die Dunkelheit führten, überkam mich doch wieder ein
    unangenehmes Gefühl. Wie ich bereits erzählt habe, habe ich in meiner Jugend viel Zeit in den Tunneln und Höhlen hinter meinen geliebten Wasserfällen in Balsan Hrinkhen verbracht, aber die hatten nur in eine Felswand
    hineingeführt, nicht immer weiter nach unten, unten, unten.
    Wir mußten uns nun auf der Höhe von Haustaths
    befinden. Das bedeutete, daß ein ganzer, riesiger
    Alpengipfel über meinem Kopf hing, nur durch Wände und Decken aus Salz, einer bekanntermaßen brüchigen
    Substanz, davon abgehalten, mich unter sich zu begraben.
    Aber die entgegenkommenden Bergmänner zeigten kein
    Anzeichen von Angst, und das kleine Mädchen drängte
    unbekümmert weiter. Also unterdrückte ich mein Unbehagen und folgte ihr. Sie bog von den belebten Korridoren ab in einen leeren Gang, der nichtsdestoweniger von Fackeln
    ausgeleuchtet war. Je weiter wir gingen, desto höher wurde er. Plötzlich öffnete er sich weit, und wir standen am Rande einer riesigen Kaverne, menschenleer, aber heller erleuchtet als die anderen Gänge.
    Die Bergarbeiter hatten keine Mühe gescheut, die Halle auszuleuchten. Fackeln brannten an allen Wänden und die gekrümmten Wände hinauf bis unter das Dach der Höhle.
    Das Licht der Feuer, gedämpft von durchscheinenden
    Salzformen, wurde in dem aufsteigenden Salzdom vor- und zurückgeworfen, fast so, als wäre ein Echo sichtbar gemacht worden. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr in einem Hyazinth, sondern im Herzen einer Flamme zu stehen.
    Mit Besitzerstolz erklärte Livia: »All das ist ein Werk der Natur, aber Bergleute haben vor langer, langer Zeit, einiges hinzugefügt.«
    Sie bat mich auf eine Seite der Höhle und zeigte mir, was sie meinte. In eine Wand, die zu schmücken die Natur
    vergessen hatte, hatten christliche Bergarbeiter eine Kapelle gegraben, und dann mit einem aus Salzblöcken und platten geformten Lesepult versehen. Darauf standen ein hoher
    Hostienbehälter und ein noch höherer Abendmahlskelch,
    beide aus Steinsalz gefertigt.
    »Wie die höhergestellten Leute aus Haustaths sind auch einige der Bergarbeiter seit langem gute Christen«, sagte Livia. »Aber die meisten sind immer noch Heiden, und auch sie haben vor langer, langer Zeit ihr Werk hinzugefügt.«
    In die Wand genau gegenüber der Kapelle war ein Tempel geschlagen. Dieser Hohlraum enthielt nichts als eine
    mannshohe Salzstatue, grob bebauen, aber mehr oder
    weniger von menschlicher Form, die offensichtlich einen Gott verkörpern sollte. Dann sah ich, daß sich die klobige Rechte der Gestalt auf einen hölzernen Hammerstiel stützte, an dem mit Riemen ein Stein befestigt war, und erkannte, daß die Figur Thor symbolisierte. Noch etwas fiel mir auf: Das Innere des Tempels war als einziger Ort in der Mine mit Ruß überzogen und es roch nach Rauch. Ich befragte Livia danach.
    »Die Heiden bringen hier ihre Opfer dar«, antwortete sie.
    »Sie bringen ein Tier hierher, ein Lamm, ein Zicklein, ein Ferkel. Ein Feuer wird entfacht, und sie schlachten das Tier im Namen irgendeines Gottes. Dann kochen und essen sie es.« Sie zuckte mit ihren zierlichen Schultern. »Den Göttern bleibt nur der Rauch.«
    »Und dein Vater, ein Christ, läßt das zu?«
    »Die christlichen Ältesten von Haustaths achten sehr
    darauf, daß er sie läßt. Es hält die Arbeiter ruhig und kostet die Mine nichts.« Sie blickte mich an: »Thorn, hast du dich ausgeruht? Der Weg nach oben ist lang, und hochrutschen können wir nicht.« Ich grinste und sagte: »Ich glaube, ich komme mit den Leitern zurecht. Aber dich, kleines Mädchen, soll ich dich tragen?«
    »Mich tragen?« rief sie herablassend, »Väi! Versuch erst mal, mich zu fangen!« Mit diesen Worten rannte sie den Gang entlang, der uns hierher gebracht hatte.
    Da ich die längeren Beine hatte, brauchte ich mich nicht anzustrengen, um ihr zu folgen. Und ich hatte keine Lust, sie zu verlieren, denn ohne sie hätte ich mich hier unten
    sicherlich verirrt. Ich gebe zu, als wir die letzte Leiter erklommen hatten und aus der Mine heraus ins Freie
    kamen, war ich es, der schwitzte und nach Luft schnappte, nicht sie. Aber ich hatte den Berg heute auch zweimal
    bestiegen, einmal von außen und einmal von innen.
    3
    Zurück in der Taverne gab mir Andraias, vom Schluckauf geplagt, zu verstehen, daß Wyrd bereits eingeschlafen und zu Bett gegangen sei. Ich muß ihn verwundert angestarrt haben, denn er antwortete:

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