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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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zwölften Geburtstag. Und so haben sie das große Glück, am nächsten Freitag, der nicht irgendein Freitag ist, sondern der der Großen Dionysia, initiiert zu werden. Ehre das Ereignis mit deiner Gegenwart, Veleda. Du scheinst die Bälger ja ein bißchen ins Herz geschlossen zu haben. Es wird das letzte Mal sein, daß du sie siehst, es sei denn, du kommst noch öfter in den
    Tempel.«
    »Ihr schickt Eure eigenen Söhne zu den Homosexuellen?«
    »Was mehr könnten die Jungen erwarten? Sie werden ihr
    Leben dem Dienst an Bacchus widmen.«
    »Was für ein Dienst?«
    »Das wirst du sehen, wenn du zu dem Bacchanal
    kommst.« Und ich kam.
    5
    In den letzten Wochen hatte ich einige meiner besseren Gewänder und weniger wertvolle Schmucksachen in das
    Haus der Witwe gebracht. Jedesmal gab ich vor, sie von meinem Lohn erstanden zu haben. Am Freitag des
    Bacchanals, besorgt um mein Äußeres wie jede andere
    junge Frau, die in einen ihr unbekannten Kreis eingeführt wird, wandte ich mich an Dengla: »Für einen Anlaß wie
    diesen wäre es wohl angezeigt, mein bestes Gewand
    anzulegen.«
    »Falls es dir beliebt«, sagte sie gleichgültig. »Aber es macht keinen Unterschied. Du wirst es ohnehin ablegen, bevor die Nacht vorüber ist.«
    »Ach ja?« fragte ich etwas alarmiert.
    »Stell dich nicht so an. Warum zieren sich Mädchen deiner Sorte so sehr, wenn sie einmal nicht auf der Straße
    stehen?«
    »Ich habe es Euch schon einmal gesagt, Caia Dengla, ich bin keine Hure.«
    »Und ich habe dir gesagt, du brauchst meinetwegen keine Maskerade zu veranstalten. Ich weiß sehr wohl, daß kein Kürschner so viel bezahlt, daß du dir dieses ›beste Gewand‹
    da hättest leisten können. Es ist mir auch egal, ob du es gestohlen hast, solange du mich nur nicht bestiehlst. Ich selbst habe meine besten Gewänder und viele andere
    wertvolle Dinge auf diese Art und Weise erworben. Wie dem auch sei, niemand wird verlangen, daß du dich während der Riten entkleidest, obwohl es sehr verdächtig und unhöflich wäre, wenn du es nicht tun würdest. Solltest du die
    römischen Traditionen schätzen, so kannst du eines deiner Unterkleider anbehalten. An den, uhm, Riten selbst mußt du nicht teilnehmen, wenn du nicht willst. Viele unserer
    treuesten Anhänger kommen nur zum Zuschauen und
    scheinen dabei einen unglaublieh hohen Grad der Hysterikä zelos zu erreichen. Falls du dich noch umziehen willst, Veleda, dann tu es jetzt. Wir werden uns bald auf den Weg machen müssen. Melbai, die als Priesterin noch ihre
    Gewänder anlegen muß, ist schon vorausgegangen. Ich
    hole die Zwillinge. Halte du den einen fest am Arm, ich kümmere mich um den anderen. Vielleicht versuchen sie
    sonst zu fliehen. Die kleinen Schwachköpfe sind so
    verschreckt wie zwei Kätzchen vor dem Wolfsbau.«
    Nun, das lateinische Wort für Wolf, »Lupa«, bedeutet
    eigentlich »Wölfin«, steht im Volksmund aber auch für
    »unkeusche Frau« - womit den Wölfen ein grobes Unrecht zugefügt wird Die »Kätzchen« hatten also allen Grund,
    ängstlich zu sein. Ich zog meine besten Unterkleider und das amiculum, ein Obergewand, an und legte mein kleidsamstes Schmuckstück, das gewundene Brustschild aus Haustaths, an. Dann nahm ich gehorsam einen der Zwillinge an der
    Hand und machte mich mit Dengla und dem anderen
    Knaben auf den Weg zum Tempel.
    Das Tempelinnere war nur spärlich beleuchtet, nur jeweils eine Fackel war an den Seitenwänden des geräumigen,
    hohen Gewölbes befestigt. Genug Licht, um zu erkennen, daß die Einrichtung vorwiegend aus weichen Liegen
    bestand. Mindestens zehn davon standen willkürlich
    angeordnet auf einem offenen Platz in der Mitte des
    Mosaikfußbodens.
    Am Kopfende des Raums stand ein immenser
    Marmortisch, daneben eine Liege, auf der einige Frauen saßen und leise Musik spielten. Als meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten, sah ich, daß eine von ihnen
    eine Leier zupfte, die zweite ein Sistrum schüttelte, eine dritte sanft auf eine Trommel schlug, die vierte auf der Panflöte spielte und die fünfte auf einer Flöte blies. Alle fünf Frauen waren nackt.
    Die bacchantischen Zeremonien waren offensichtlich nicht strikt reglementiert. Als wir vier ankamen, war der Raum schon gut gefüllt, und auch nach uns traten noch mehr
    Anhänger des Bacchus ein, meistens kamen sie allein oder in Pärchen, fast ausschließlich Frauen, höchstens zehn oder zwölf Männer darunter. Alle Neuankömmlinge gingen, noch bevor sie sich nach einem Sitz umsahen, zu

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