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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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dem
    Marmortisch und füllten sich einen Becher oder einen Kelch mit Wein. Es wurde so schnell und viel getrunken, als müsse alle Scheu und Zurückhaltung im Wein ertränkt werden.
    Dengla trank soviel wie jede andere, drängte den Zwillingen viele Becher auf und trieb auch mich zum Trinken an. Um nicht aufzufallen, nahm auch ich einen Becher und füllte ihn mehrmals wieder auf, goß jedoch heimlich den größten Teil des Weins in eine der über den Raum verteilten
    Blumenvasen.
    Um nicht ungehörig zu erscheinen, hielt ich meine
    neugierigen Blicke im Zaum . Aber es war offensichtlich, daß nicht alle Bacchantinnen dem niederen Volk entstammten.
    Aus den Augenwinkeln konnte ich einige gutgekleidete
    Frauen sehen, die ich als Thornareichs bei Banketten und Feiern kennengelernt hatte. Sie gehörten zu jenen Frauen, denen ich nichts als Verachtung entgegenbrachte: einfältige Weiber, die unablässig Rat bei ihrem Astrologen suchten. In einem älteren, überaus beleibten Mann erkannte ich erstaunt den Präfekten Maecius.
    Also brauchte sich die Widuwo Dengla nicht der
    schwarzen Magie zu bedienen, um die Geheimnisse der
    Privilegierten zu erfahren. Für ihre erpresserischen
    Absichten reichte es aus, Maecius und diesen
    hochgeborenen Damen (und wohl noch weiteren Mitgliedern der Nobiliät, die ich noch nicht gesehen hatte) damit zu drohen, ihre Teilnahme an den Bacchus-Riten öffentlich zu machen. Melbai hatte mir zwar warnend mitgeteilt, daß die heiligste Regel der bacchantischen Gemeinschaften es
    verbiete, Nichteingeweihten zu entdecken, was hinter den Tempeltüren vor sich ging. Vielleicht hielten sich Melbai und die anderen daran, aber ich war sicher, daß Dengla dazu bereit war, jede Regel zu brechen, wenn es ihr zum Vorteil gereichte.
    Nach einer Weile hielten die fünf Frauen mit ihrem Spiel inne, und die gemurmelten Gespräche verstummten. Dann
    hoben die Frauen erneut an zu spielen, nur lauter, schrill und mißtönend, wohl eine Hymne an Bacchus. In der Wand
    hinter dem Marmortisch öffnete sich eine Tür, aus der drei Priester und elf Priestennnen, darunter Melbai, traten. Alle zogen verschreckte, laut meckernde Geißlein an einer Leine hinter sich her. Die Bacchanten empfingen sie mit lauten Rufen, als sie den Raum durchschritten. Allerdings schritten sie weniger feierlich einher, als daß sie in ihrer - wirklichen oder vorgeblichen - Trunkenheit durch den Raum wankten und über die kleinen Ziegenböcke stolperten.
    »Immer vierzehn Ehrwürdige«, lallte mir Dengla, die sich wegen des Lärms nahe herüberbeugte, ins Ohr. »Denn als Bacchus ein Säugling war, zogen ihn die vierzehn Nymphen von Nysa auf. Und wir opfern ihm Geißlein, weil er die weintraubenfressenden Ziegen verabscheut.«
    Die vierzehn Ehrwürdigen trugen Kronen aus Efeu- und
    Weinblättern. Auf ihren Schultern lag ein Umhang aus
    Pantherfell, davon abgesehen waren sie nackt. Die fast vollständig entblößten Priesterinnen boten dem Auge
    allerdings wenig. Sie alle waren mehr oder weniger in
    Melbais Alter und äußerlich ebenso wenig anziehend wie sie. Zwei der Priester waren ohne Zweifel Eunuchen, bleich, fett und schwabbelig. Der andere mußte einer der Männer sein, die sich in fortgeschrittenem Alter freiwillig hatten kastrieren lassen, denn er war sehr mager. Dabei war er schon so alt, daß man sich fragte, warum er sich überhaupt noch der Mühe einer Kastration hatte unterziehen müssen.
    Die vierzehn Ehrwürdigen schwenkten einen langen Stab, den Dengla als »Thyrus« bezeichnete. An seiner Spitze stak ein Tannenzapfen.
    Über das Geschrei, das Meckern der Zicklein und die
    mißtönende Musik hinweg rief ich Dengla zu: »Ich weiß, daß der Panther dem Bacchus heilig ist, deshalb die Felle. Aber wofür stehen die Tannenzapfen?«
    Sie rülpste und sagte: »Für den Akt des Aufreißens.«
    Dann kicherte sie betrunken vor sich hin.
    Als die Prozession der vierzehn Priester und Priesterinnen wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen war, traten
    alle bis auf den alten Mann zurück, der sich nur mit Mühe vor dem Marmortisch aufrecht halten konnte. Die Musik
    wurde leiser, und nach und nach verstummten auch die Rufe aus der Versammlung. Der Priester schenkte sich einen
    Becher randvoll mit Wein ein und nahm einen langen,
    herzhaften Schluck, bevor er anfing, die Exerzitien des Bacchus-Kults zu zelebrieren.
    »Euoi Bacche! lo Bacche!« gellte seine Stimme durch den Raum. Er predigte größtenteils auf Griechisch, eine
    Sprache, die ich

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