Der Greif
nicht allzu gut beherrschte. Aber seine Zunge war so schwer vom Wein, daß wohl auch ein Grieche seiner Rede kaum hätte folgen können. Andere Teile seiner Predigt hielt er in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte, wahrscheinlich die der Rasna oder ägyptisch. Die einzige Äußerung, die er in lateinisch von sich gab,
überraschte mich, denn es war ein Zitat aus der Bibel, aus dem Buch Lukas.
Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genähret haben!
Das war die einzige Stelle, auf die die Kongregation
reagierte. »So sei es!« und »Gesegnet seien sie!« riefen die Frauen in verschiedenen Sprachen.
Der Priester brabbelte noch eine Zeitlang, bis er mit den Worten schloß: »Und nun lasset uns singen und tanzen und feiern und trinken. Euoi! lo!« Damit warf er seinen
Pantherfell-Umhang zu Boden und stürzte in die Mitte des Raumes, wo er anfing, wild zuckend zu tanzen, während die Musik zu übermütigen lydischen Gesängen anschwoll. Die beiden dicken Eunuchen-Priester und fünf oder sechs der Priesterinnen, unter ihnen Melbai, rissen sich die
Pantherfelle vom Leib, überließen den anderen
Priesterinnen die Aufsicht über die an ihren Leinen
zerrenden, lautstark meckernden Geißlem und begannen zu tanzen. Jetzt drängten auch die Weinseligeren unter den übrigen Teilnehmern nach vorne, begierig, an der Tollerei teilzuhaben. Alle tanzten so wild und hemmungslos wie der alte Priester, aber nur wenige besser. Nach und nach
entkleideten sie sich und riefen dabei ihren Gott an:
»Bacchus!«, »Dionysos!« oder»Fufluns!«
Dengla streifte ihren Übermantel ab und sprang in die
Menge, wo auch sie tanzte, tobte und sich ihrer restlichen Kleidung entledigte. Ihre entblößten Beine waren
stumpenhaft kurz, aber ihre Füße lang und schmal. Bei
jedem Schritt klatschten sie auf den Steinboden, was ein Geräusch erzeugte, das selbst über dem allgemeinen
Tumult noch hörbar war. Auch die anderen Tänzerinnen und Tänzer, so alt oder noch älter als Dengla, boten keinen sonderlich berauschenden Anblick. Abgesehen von Fillipus und Robein war ich die jüngste Person im Tempel und, ohne angeben zu wollen, bei weitem die hübscheste. Obwohl ich noch angezogen war, starrten mich mehrere Frauen an,
winkten mir zu und machten Zeichen, ich solle mich zu ihnen gesellen.
In dem gedämpften Licht konnte ich nicht sehen, ob an
den tanzenden Frauen irgendwelche Anzeichen sexueller
Erregung, angeschwollene Brustwarzen etwa, sichtbar
waren. Die wilden Zuckungen und Gesänge konnten
ebensogut als Störung des Geistes wie als Erregtheit des Fleisches ausgelegt werden. Dasselbe galt für die Männer, von denen, das konnte ich im Licht der Fackeln deutlich erkennen, noch keiner ein Fascinum entwickelt hatte. Der Präfekt Maecius zum Beispiel hatte sich bisher damit
begnügt, mit samt seinen Gewändern auch jegliche Würde abzulegen. Schwerfällig bewegte er seine wulstige,
talgartige Schwarte hin und her, aber was da unter seinem schwabbelnden Hängebauch hing, war ungefähr so
aufreizend wie ein Ohrläppchen.
Wann immer die Tänzer in Reichweite des Marmortischs
gelangten, griffen sie sich eine Handvoll Weintrauben.
Traubensaft und Kerne spritzten aus ihren Mündern, wenn sie sangen. Wer erschöpft war, löste sich aus der tobenden Masse und stärkte seine Lebensgeister mit einem Schluck Wein. Manche legten sich dazu einfach unter das Faß und ließen den Wein direkt in ihren Mund laufen. Bald schon war der Boden rutschig und glatt, und mehr als nur ein Tänzer fiel, sehr zur Belustigung der anderen, auf den Boden.
Nur wenige Frauen, und keine Männer, lagen noch auf
den Liegen. Sie schienen es zufrieden zu sein, wie ich selbst, nur zu beobachten. Im Gegensatz zu mir aber waren sie alle entkleidet. Nur drei oder vier Frauen hatten, dem römischen Stil entsprechend, ein Kleidungsstück
anbehalten, ein Brustmieder, einen Hüftgürtel oder einen knappen Lendenschurz. Da sie mir und den Zwillingen
aufgebrachte Blicke zuwarfen, lehnte ich mich zu den beiden hinüber und sagte mit den Worten des Heiligen Ambrosius:
»Si fueris Romae, Romano vivito more...« Wahrscheinlich verstanden sie kein Latein, aber als sie sahen, wie ich mich auszog, taten sie es mir nach. Ich behielt mein Hüftband an, um das Zeugnis meiner Männlichkeit zu verbergen. Um die Verkleidung unverdächtiger erscheinen zu lassen, hatte ich ein dekoratives Band aus feinstem Leinen, bestickt
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