Der Greif
für sie zu pflücken, und bald hatte ich so viele von Swanildas weniger vertraulichen Aufgaben
übernommen, daß die Kammerzofe ihre Belustigung darüber kaum mehr zu verbergen vermochte. Dailas finstere Blicke hingegen brachten sein Befremden deutlich zum Ausdruck.
Mir wurde bewußt, daß ich mich ganz und gar nicht wie ein Marschall verhielt, und schränkte daher meine
Aufmerksamkeiten der Prinzessin gegenüber etwas ein. Wir näherten uns ohnehin allmählich unserem Reiseziel, und in Konstantinopel wollte ich Amalamena dann der Obhut des allerbesten Arztes anvertrauen.
Kurz vor der Südküste der Provinz Europa stießen wir auf die Via Egnatia, auf der Reisende und Waren vom Westen des Reiches in den Osten befördert wurden. Diese breite, gepflasterte und gut befestigte römische Straße begann in der Hafenstadt Dyrrachium am Adriatischen Meer, lief dann zuerst auf den Hafen Thessalonika am ägäischen Meer und danach auf die Hafenstadt Perinthus am Marmara-Meer zu und führte an verschiedenen kleineren Häfen vorbei
schließlich zum großen Hafen der am Bosporus gelegenen Hauptstadt Konstantinopel. Unsere Kolonne reihte sich in den Verkehr ein und folgte der Hauptverkehrsstraße bis nach Perinthus, wo wir unsere Reise noch einmal für einen Tag und eine Nacht unterbrachen. So konnte sich
Amalamena in einer der gut ausgestatteten Herbergen, die auf griechisch pandokheia genannt werden, ausruhen und erholen.
Die Prinzessin erzählte mir, daß in der Hafenstadt
Perinthus vor langer Zeit ebensoviele Schiffe angelegt hätten wie im Hafen von Byzantium, dem späteren
Konstantinopel. Damals waren beide Städte gleich groß, und eine war so prunkvoll wie die andere. Obwohl Perinthus im Verlaufe der letzten Jahrhunderte seine einstige Bedeutung eingebüßt hatte, war der Besuch dieser Stadt für mich ein wirkliches Ereignis, denn ich hatte noch nie das Meer
gesehen, und von Perinthus aus hatte man eine herrliche Aussicht auf das scheinbar endlose, blaugrüne Marmara-Meer. Die Stadt liegt auf einer kleinen Halbinsel, daher war sie von drei Seiten mit Piers und Anlegestellen umgeben, an denen Schiffe be- und entladen wurden, und draußen vor dem Hafen warteten noch weitere Schiffe darauf, an die Reihe zu kommen.
Während unseres kurzen Aufenthalts in Perinthus kostete ich auch zum ersten Mal so wohlschmeckende
Meeresfrüchte wie Hummer, Austern, Langusten,
Kammuscheln und in ihrem eigenen Saft gekochte
Tintenfische. All diese Spezialitäten nahm ich in
Amalamenas Herberge zu mir, denn dort konnte man von
einer Terrasse aus den ganzen Hafen überblicken. Während ich speiste, konnte ich Kriegsgaleeren mit zwei oder drei Ruderbänken langsam und majestätisch vorbeiziehen
sehen. Einige dieser sogenannten Liburnerschiffe waren vorn und hinten mit hohen Aufbauten versehen. Ich
beobachtete auch zwei Arten von niedrigen, schmalen und schnellen Küstenwachbooten: die »Raben« und die
»Delphine«.
Die Frachtschiffe, die ich hier zu sehen bekam, waren
größer als alle, die ich bisher auf irgendeinem Fluß gesehen hatte. Sie hatten zwei Masten, viereckige Segel und einen stumpfen, runden Bug. Die kleineren und schnelleren
Handelsschiffe, die nur an der Küste entlangfuhren, hatten dagegen keine Segel, sondern nur Ruder. Im Hafen
herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Besonders die größeren Frachtschiffe hielten sich nicht länger als
unbedingt nötig im Hafen auf, denn sie mußten alle in
diesem Jahr noch anstehenden Fahrten hinter sich bringen, bevor der Winter den Schiffsverkehr auf dem offenen Meer lahmlegte.
Es gefiel mir sehr in Perinthus und ich hätte es sicherlich sehr bedauert, nicht länger bleiben zu können, hätte ich nicht gewußt daß uns nur noch drei oder vier Tagesreisen von einem noch viel eindrucksvolleren und
verkehrsreicheren Hafen und von der angeblich prächtigsten Stadt des ganzen römischen Reiches trennten: Dem
früheren Byzantium und späteren Augusta Antonina, das
jetzt und für alle Zeiten die große Hauptstadt des Großen Konstantin war.
Konstantinopel
1
Wir sahen Konstantinopel genaugenommen schon lange,
bevor wir es tatsächlich erblickten. Wir waren noch ungefähr zwei Tagesmärsche von der Stadt entfernt und schickten uns an, unser Nachtlager auf einer Ziegenweide unweit der Straße aufzuschlagen, als einige von unseren Leuten mit lauten Rufen kundtaten, sie hätten am Nachthimmel in
östlicher Richtung ein gelbes Licht erspäht.
Ich sagte: »Die riesigen
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