Der Greif
es genügend Kämpfe geben, um uns beide zufriedenzustellen.«
»Bevor dies geschieht, hätte ich gern die Erlaubnis
meines Königs ins Ausland zu reisen, die Klinge meines Schwerts zu wetzen, meine Muskeln zu lockern und meine alten Kampfinstinkte aufzufrischen. Sie sind alle zu lange nicht im Einsatz gewesen. Bis auf gelegentliche Berichte, die ich dir von meinen müßigen Reisen mitbrachte, Theoderich, habe ich seit meiner Rückkehr von Skythien keine Mission mehr für dich erfüllt.«
»Doch diese Berichte waren stets ausführlich und überaus nützlich. Ich habe deinen Unternehmungsgeist sehr wohl bemerkt und zu schätzen gewußt, Saio Thorn. In der Tat hat mich deine zuverlässige Einsatzbereitschaft bereits dazu bewegen, eine andere Mission für dich ins Auge zu fassen.
Eigentlich eine Art Suche. Ich kam darauf, als ich den Namen für meine neue Tochter wählte -Thiudagötha. Und
als Saio Soas davon sprach, daß ich mir eine Braut suchen solle.«
»Wie?« sagte ich verblüfft. »Du willst mich losschicken, die in Frage kommenden Prinzessinnen in Augenschein zu
nehmen?«
Zum ersten Mal an diesem Tag lachte er herzlich. »Nein, ich möchte, daß du dich auf eine Suche nach der
Geschichte begibst. Ich bin der Meinung, daß meine jüngste Tochter, die aus dem gotischen Volk, alles über ihre
Vorfahren wissen sollte. Und wenn es mir gelingen sollte, eine Braut von höchstem königlichen Geblüt zu bekommen, muß ich in der Lage sein, ihr zu beweisen, daß ich ebenfalls von untadeliger Abstammung bin. Und nicht zuletzt sollte auch mein Volk wissen, wo seine Wurzeln sind und wie es kam, daß sie Ostgoten wurden. Ich schlage deshalb vor, Thorn, daß du die gotische Völkerwanderung
zurückverfolgst, und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Fang am Schwarzen Meer an und folge ihrer Spur in Richtung
Norden, sofern du überhaupt Anzeichen von irgendeiner
Spur entdecken kannst. Du bist ein erfahrener und
unerschrockener Reisender. Deine
Fremdsprachenkenntnisse
sind bewundernswert und
versetzen dich in die Lage, die Menschen zu befragen, die heutzutage entlang der Völkerwanderungsstrecke leben. Du schreibst ausgezeichnet und kannst deshalb alles, was du erfährst, notieren und später zu einer fortlaufenden
Geschichte zusammenfügen. Ich möchte, daß du jene Goten aus grauer Vorzeit den ganzen Weg bis an die
Bernsteinküste, wo sie angeblich landeten, zurückverfolgst.
Und noch darüber hinaus - die ganze Strecke bis zu jenem Heimatland Skandza, wenn die Goten wirklich von dort
kamen und du es aufspüren kannst.«
»Diese Suche hört sich wirklich nach einer großen
Herausforderung an«, sagte ich. »Trotzdem wäre ich lieber nicht im Ausland, wenn du gegen Strabo und seine
Verbündeten ins Feld ziehst.«
Er sagte leichthin: »Wenn die Rugier nach Süden ziehen, um sich Strabo anzuschließen, erfährst du es wahrscheinlich früher als ich. Du kannst dann mit ihnen nach Süden kommen. Vielleicht wäre es aber auch vorteilhafter, ihnen zu folgen. Ich hätte keineswegs etwas dagegen, hinter den Linien meines Feindes einen Parmenio zu haben. Bevor du abreist, werde ich auf alle Fälle Kuriere in alle vier Himmelsrichtungen entsenden. Sie werden alle
ausländischen Monarchen und römischen Legaten, die ich kenne, auffordern, dir Zutritt zu ihren Gebieten zu gewähren, dir Gastfreundschaft entgegenzubringen und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dir deine Suche zu erleichtern.
Darüber hinaus werden sie dich stets von allem in Kenntnis setzen, was es hier möglicherweise an Neuigkeiten gibt. Du kannst natürlich alle Vorräte, Eskorten und Pferde
bekommen, nach denen dir der Sinn steht. Wünschst du ein eindrucksvolles Gefolge oder nur ein paar kräftige Krieger?«
»Niemanden, denke ich. Bei einer so außergewöhnlichen
Suche bin ich lieber allein unterwegs - besonders, wenn ich mich heimlich durch Feindesland stehlen soll. Außerdem werde ich zwar bewaffnet aufbrechen, aber ohne Rüstung.
An manchen Orten könnte es von Vorteil sein, nicht sogleich als Ostgote erkannt zu werden. Ich brauche nichts außer meinem eigenen treuen Pferd und den Vorräten, die ich
hinter meinem Sattel mitnehmen kann. Ja, ich werde das sein, was ich schon einmal war, ein Jäger auf
Wanderschaft.«
»Habai ita swe!« sagte Theoderich, und es war das erste Mal seit langer Zeit, daß er mir gegenüber jene gewichtige Bestätigungsformel gebrauchte: »So sei es!«
An einem herrlich sonnigen, milden Maimorgen brach
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