Der Greif
Bestes zu geben und mich zu
bemühen, alles, was Ihr mir beibringen wollt, zu lernen.
Doch möchte ich kein Versprechen von Euch als
Gegenleistung, Saio Thorn. Wenn die Reise vorüber ist, oder auch zu jedem anderen Zeitpunkt, braucht Ihr nur zu sagen: »Swanilda, genug.« Ich werde mich ohne zu murren damit abfinden, nicht mehr Eure Geliebte zu sein und von da an nur noch als Eure demütige Dienerin zur Verfügung
stehen.« Sie streckte mir eine zitternde Hand entgegen und auch ihre Lippen bebten, als sie noch einmal sagte: »Weist mich bitte nicht ab, Saio Thorn. Ohne eine Herrin oder einen Herrn bin ich eine verlorene und ausgestoßene Waise.«
Das ging mir zu Herzen. Ich war selbst einmal eine
ausgestoßene Waise gewesen. Daher sagte ich: »Wenn du
vorgeben willst, meine Frau oder meine Gefährtin zu sein, mußt du von nun an versuchen, mich nicht mehr mit Saio oder Herr anzureden, sondern einfach mit Thorn.«
Ihre Miene hellte sich schlagartig auf, und trotz ihrer rotverweinten Augen und ihrem verquollenen Gesicht sah sie beinahe wieder strahlend schön aus. »Dann wollt Ihr mich also wirklich mitnehmen?«
Und das tat ich dann auch. Ich sollte es zu gegebener Zeit sehr bereuen.
2
Ich orientierte mich erneut am Verlauf der Donau, und
Swanilda und ich folgten ihr flußabwärts. Wir ritten also die Strecke zurück, die ich von meiner Flucht aus Strabos
Skythien her kannte. Obwohl ich eigentlich dagegen bin, zweimal dasselbe zu machen, bereitete es mir nun doch
Vergnügen, Swanilda mit einem gewissen Besitzerstolz
verschiedene Orientierungspunkte und Sehenswürdigkeiten zu zeigen, Dinge, an die ich mich von meiner früheren Reise her erinnerte, was zur Folge hatte, daß ich diese Exkursion in einem ganz anderen, neuen Licht sah.
Ich hatte Swanilda immer sehr geschätzt. Nun lernte ich, sie wirklich zu verehren, nicht nur aufgrund ihrer praktischen kameradschaftlichen Fähigkeiten, sondern auch wegen ihrer reizvollen Weiblichkeit. Ich erinnere mich, wie sie sich in unserer ersten Nacht, nachdem wir Novae verlassen hatten, auf beinahe magische Weise von der tagsüber wenig
ansprechend gekleideten Reisegefährtin in eine weiche, geschmeidige, bezaubernde junge Frau verwandelte.
Wie man sich unschwer vorstellen kann, fanden wir beide unsere Reise so erfreulich, daß uns wenig daran lag, schnell vorwärtszukommen, sondern wir im Gegenteil geneigt
waren, das Ende der Reise so lange wie möglich
hinauszuzögern. Dennoch gelangten wir nach etwa zwei
Wochen gemächlicher Gangart zu der am Fluß gelegenen
Festungsstadt Durostorum und quartierten uns dort in einem gut ausgestatteten Gasthaus ein. Ich ließ Swanilda dort zurück, wo sie alsbald im Luxus der Thermen schwelgte, während ich meine Aufwartung beim Prätor der Legion
Italica machte. Der Kommandeur, den ich früher dort
angetroffen hatte, war nach dieser langen Zeit nicht mehr im Amt. Sein Nachfolger war aber selbstverständlich auch ein Untergebener Theoderichs und daher überaus
gastfreundlich zu einem Marschall des Königs. Wir saßen zusammen und tranken einen der unzähligen Weine
Durostorums, während er mir die neuesten Nachrichten aus Novae erzählte. Es waren lediglich Routineberichte bei ihm eingegangen, Strabo schien, mit oder ohne seine
mutmaßlichen rugischen Verbündeten, keine Anstalten zum Angriff zu machen. So gab es also keinen Grund und keine Entschuldigung für mich, meine Suche abzubrechen und an Theoderichs Seite zurückzukehren.
»Es gibt außerdem auch keinen Grund«, sagte der
Kommandeur beflissen, »Euren Weg weiterhin mühselig
über Land fortzusetzen, Saio Thorn. Warum nehmt Ihr Euch hier nicht eine Barkasse und gleitet bequem die Donau
hinunter? Auf diese Weise kommt Ihr viel schneller ans Schwarze Meer und verausgabt Euch auch nicht so.«
Ich erkundigte mich am Flußufer nach der Möglichkeit,
eine Barkasse zu mieten. Und bei dieser Gelegenheit stieß ich auf die erste Spur jener frühen Goten, deren Fährte ich suchte.
Der zweite oder dritte Barkassenbesitzer, den ich
ansprach, war so alt, daß er beinahe selbst einer jener Goten aus uralten Zeiten hätte sein können. Er fragte mich ungläubig, warum ich den beträchtlichen Preis einer
Flußfahrt bis zum Schwarzen Meer zahlen wolle, ohne
irgendwelche Handelsgüter als Fracht mitzuführen. Da ich meine Mission nicht geheimhalten mußte, sagte ich ihm frei heraus, daß ich den Wunsch habe, nach dem Mutterland zu suchen, das meine gotischen Vorfahren
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