Der Greif
ich auf, in der Hoffnung, mehr wie ein Vagabund ohne Ziel zu wirken als wie der Marschall eines Königs. Es war zwar unmöglich, die Reinrassigkeit meines Velox zu verbergen, doch hatte ich in den letzten beiden Tagen meine
Stallknechte bewußt angehalten, ihn nicht zu striegeln oder zu kämmen. Auch war meine Kleidung ziemlich grob und
einfach, und obwohl ich mein edles Schlangenschwert
persönlich geschliffen und poliert hatte, trug ich es in einer abgenutzten alten Scheide.
Zunächst ritt ich nach Novae zum Palast, um Theoderich wissen zu lassen, daß ich nun aufzubrechen gedachte. Wir machten kein großes Aufhebens um unseren Abschied,
doch wünschte er mir herzlich »raitos staigos uh bairtos dagos« - gerade Wege und heitere Tage -, und gab mir, wie auch früher schon, eine Vollmacht, die mich auswies und das Siegel mit seinem Monogramm trug. Als ich dann wieder in den Palasthof trat, sah ich, daß der Aufseher Costula, dem ich die Zügel meines Pferdes zum Halten überlassen hatte, nun die Zügel von zwei Pferden hielt. Auf dem zweiten saß in Reisekleidung die Kammerzofe Swanilda, ein Bündel hinter ihrem Sattel.
»Gods dags, Swanilda«, grüßte ich sie. »Verreist du heute ebenfalls?«
»Ja, wenn Ihr erlaubt, daß ich mich Euch anschließe«,
sagte sie mit leicht bebender Stimme.
Als ich näherkam, sah ich, daß ihr Gesicht verquollen war und sie rot verweinte Augen hatte, und ich kam zu dem
Schluß, daß sie seit dem Tod ihrer Herrin fast ständig geweint haben mußte.
Ich übernahm die Zügel der Pferde, beschied Costula
durch einen Wink, sich zu entfernen, und sagte höflich:
»Selbstverständlich könnt Ihr mich gern ein Stück begleiten, Swanilda, bis sich unsere Wege trennen. Wohin reitest du?«
»Ich möchte den ganzen Weg mit Euch zusammen
reiten«, sagte sie mit festerer Stimme. »Ich habe von der langen Reise gehört, die Ihr unternehmt. Ich möchte Eure Schildträgerin, Dienerin, Gefährtin sein, Eure... alles, was Ihr von mir erwartet.«
»Warte einen Moment -«, begann ich, doch lebhaft und
drängend fuhr sie fort:
»Ich habe zwei geliebte Herrinnen beweint und habe nun niemanden mehr; deshalb bitte ich Euch, ab jetzt einem Herrn dienen zu dürfen. Ich möchte Euch als meinen Herrn und Meister haben Saio Thorn. Bitte schlagt mir meinen Wunsch nicht ab. Ihr wißt, daß ich eine gute Reiterin bin und viel unterwegs war. Mit Euch bin ich ja auch von hier nach Konstantinopel geritten. Und später auf Euren Befehl hin eine noch größere Strecke - ganz allein und in Eurer
Kleidung. Erinnert Ihr Euch? Ihr lehrtet mich, als Mann aufzutreten. Ich solle nie vor den Augen anderer laufen oder etwas werfen...«
In all den Jahren, in denen ich Swanilda kannte, hatte ich sie noch nie so viel reden gehört. Doch nun war ihr die Luft ausgegangen, bevor ihr Wortschwall versiegt war, was mir die Gelegenheit gab, selbst ein paar Worte einzuflechten.
»Völlig richtig, meine liebe Swanilda. Doch durchquerten wir bei diesen Reisen die mehr oder weniger zivilisierten Gebiete des Römischen Reiches. Diesmal wage ich mich in unbekannte Gefilde, unter feindliche, möglicherweise
unzivilisierte Völker, und - «
»Was sehr dafür spricht, mich mitzunehmen. Ein Mann,
der allein reist, wird mit Argwohn betrachtet, als eine Bedrohung angesehen. Doch ein Mann, der mit einer Frau an seiner Seite unterwegs ist, wirkt zahm und harmlos.«
»Zahm, ach wirklich?« sagte ich und lachte in mich hinein.
»Ich kann auch, wenn Ihr das vorzieht, wieder Kleidung von Euch tragen. Es könnte ebenso von Vorteil sein, wenn ich für Euren Zögling gehalten werde. Oder sogar« - sie schaute verlegen zur Seite -, »für Euren Liebhaber.«
Ich sagte ernst: »Swanilda, du mußt doch bemerkt haben, daß ich es in all diesen Jahren - teilweise wegen deiner teuren Herrin Amalamena - unterlassen habe, mich für eine Frau oder Gefährtin zu entscheiden, obwohl mir viele
Möglichkeiten offenstanden. Wahrhaftig, die Dame Aurora bot mir sogar dich an.«
»Ich kann gut verstehen, daß Ihr mich nicht formell als Frau oder Begleiterin haben wolltet. Ich kann einer
Amalamena in keiner Hinsicht das Wasser reichen und bin zudem nicht einmal mehr Jungfrau, doch bin ich trotzdem nicht erfahren genug, um bei den Dingen, die sich zwischen Mann und Frau abspielen, genau Bescheid zu wissen. Wenn Ihr jedoch ganz zwanglos mit mir vorlieb nehmen wollt, nur für die Dauer unserer gemeinsamen Reise, verspreche ich, in dieser Hinsicht mein
Weitere Kostenlose Bücher