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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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schwarz war, daß er sein offensichtlich hohes Alter Lügen strafte.
    Ich erwiderte seinen Gruß - in nur zwei Sprachen: »Salve«
    und »Haus« -
    und überreichte ihm mein
    Empfehlungsschreiben. Doch sobald er neben mir stand,
    schien er mich im Licht des Eingangs zu erkennen, denn er sagte liebenswürdig: »Natürlich, Saio Thorn. König
    Theoderich ließ uns vor kurzem eine Nachricht zukommen, daß Ihr bald eintreffen würdet, und vor knapp einer Stunde wurde mir Eure Ankunft mitgeteilt. Erlaubt mir, mich
    vorzustellen. Meirus Terranius auf lateinisch. Meiros
    Terastios auf griechisch. Oder, in meiner Muttersprache, Meir ben Teradion.«
    Ich platzte in der alten Sprache heraus: »Ist jus Iudaius, niu?«
    »Ik im, ja. Hegt Ihr eine Abneigung gegen Juden?«
    Ich beeilte mich zu versichern: »Ni allis. Nequaquam.
    Doch ist es... nun, recht ungewöhnlich, einen Juden als ranghöchste Persönlichkeit in einem Gemeinwesen des
    Römischen Reiches anzutreffen. «
    »Eine Abnormität, ja. Oder vielleicht auch eine
    Geschmacklosigkeit, wie die Chittims sagen würden.«
    »Die Chittims?«
    »Die Römer, wie sie in meiner Muttersprache genannt
    werden. Und ich wette, Marschall, daß Euch auch schon zu Ohren gekommen ist, mit welchem anderen Namen ich noch bezeichnet werde.«
    »Äh... ja, das stimmt. Doch würde ich ungern jemanden
    als Schlamm-Mann ansprechen. Ich fand den Beinamen
    nicht gerade schmeichelhaft.«
    Er kicherte. »Er beschreibt nur, was ich tue. Ich bin der Mann, der mit dieser Ware handelt.«
    »Ihr handelt mit Schlamm?«
    »Ihr riecht ihn doch sicher. Das ganze Gebäude ist voll davon.«
    »Doch... an wen verkauft Ihr den Schlamm? Und wohin
    verkauft Ihr ihn? Gibt es denn irgendwo auf der Welt einen Ort, der nicht bereits seinen eigenen Schlamm hat?«
    »Wie Ihr bemerkt habt, verbreitet mein Schlamm einen
    besonders penetranten Geruch.«
    »Meiner Meinung nach müßte dieser Umstand ihn
    besonders wertlos machen.«
    »Nun, Ihr berücksichtigt nicht die menschliche Phantasie und den Wert, den sie allem geben kann.«
    »Wahrscheinlich nicht. Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht.«
    »Einbildungskraft, junger Mann! Die meisten Händler
    befassen sich lediglich mit Dingen. Sie sind nur unbedeutende Hausierer. Ich handle mit Phantasie. Ich war nämlich nicht immer Händler, müßt Ihr wissen. In meinen Jugend- und Wanderjahren war ich abwechselnd Poet,
    Minnesänger, Geschichtenerzähler - in harten Zeiten sogar Chazzen, was Augur, Wahrsager bedeutet. Doch diese
    Berufe waren schlecht bezahlt, und als ich älter wurde, erwachte in mir der Wunsch, irgendwo seßhaft zu werden.
    So fand ich mich also eines Tages vor langer, langer Zeit hier an den Mündungsarmen der Donau wieder und
    versuchte, mich zu orientieren. Ich sah manchen Mann reich werden, der mit Pelzen, Fischen oder Federn handelte. Das Dumme war nur, daß alle einträglichen Produkte des Deltas bereits mit Beschlag belegt waren. Das einzige, was in diesem morastigen Gebiet noch nicht genutzt worden war, war der Morast selbst.«
    Er hielt inne und warf mir einen schelmischen Blick zu, deshalb sagte ich: »Der Schlamm.«
    »Ja! Der besonders übelriechende Schlamm dieses
    Deltas. Bloße Hausierer hätten nicht einmal ein zweites Naserümpfen daran verschwendet. Doch ich - ich hatte
    Phantasie. Zudem besaß ich noch die Unverfrorenheit des Wahrsagers; meine Zeit als Wahrsager hatte mich um die Erfahrung bereichert, wie leichtgläubig die Menschen sind.
    So kaufte ich also kleine Töpfe, füllte sie mit dem Schlamm und bot ihn als Breiumschlag gegen Rheuma oder faltige Haut an. Und die Leute kauften den Schlamm - eitle,
    alternde Frauen und schmerzgeplagte alte Männer - weil sie davon überzeugt waren, daß die wirksamste Medizin meist die abstoßendste ist. Ich besaß sogar die Dreistigkeit, dem gräßlichen Schlamm einen gräßlichen Namen zu geben -
    sapros pelethos, verfaulter Schlamm - und ihn zu einem exorbitanten Preis anzubieten. Der abstoßende Name und der ungeheuer hohe Preis machten ihn absolut
    unwiderstehlich. Seit vielen Jahren verkaufe ich das
    schauderhafte Zeug nun schon an reiche Römer bis nach
    Rom und Ravenna, an reiche Griechen bis nach Athen und Konstantinopel, und an reiche Männer und Frauen aller
    anderen Staaten, die dazwischen liegen. Der sapros
    pelethos hat mich ebenso reich wie sie alle gemacht. Oh, ich sage Euch, Phantasie ist die magische Ingredienz!«
    »Ich gratuliere Euch. Und Eurer Phantasie.«
    »Thags izvis.

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