Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
Natürlich bestand, nachdem ich einmal
    meine Phantasie angestrengt hatte, für mich kein Bedarf mehr, mich in irgendeiner Weise nochmals anzustrengen.
    Schlamm zu verkaufen erfordert keine große
    Aufmerksamkeit oder Anstrengung. Ich lebe nicht wie
    andere Händler in einem Zustand der Sorge oder gar
    Verzweiflung. So habe ich genügend Muße, mich mit
    öffentlichen Angelegenheiten der Stadt und der Provinz zu befassen, gelegentlich als Wahrsager für die zu fungieren, die diese Dienstleistung in Ansprach nehmen wollen, und häufig so angesehenen Persönlichkeiten wie unserem
    militärischen Oberbefehlshaber Theoderich Gefälligkeiten zu erweisen; und seinem Marschall, der als Gast zu uns
    gekommen ist. Gestattet mir, Saio Thorn, Euch einen Topf voll Zauberschlamm zu kredenzen. Ihr seid zu jung, um
    schon Rheuma zu haben, doch vielleicht habt Ihr eine
    Freundin, die unter ihren Falten leidet...?«
    »Sie ist noch jung, thags izvis. Außerdem rechne ich
    damit, bald selbst in den Sumpfgebieten unterwegs zu sein.
    Falls es nötig werden sollte, kann ich mir meinen eigenen Schlamm zusammensuchen.«
    »Gewiß, gewiß. Nun, womit kann ich Euch dienen,
    Marschall? In seiner Botschaft beschrieb Theoderich Euch als reisenden Historiker und bat darum, Euch in jeder
    Hinsicht zu unterstützen. Seid Ihr in diesem Sumpf gebiet der Geschichte auf der Spur?«
    »Dort und überall, wo ich auf Spuren stoßen könnte«,
    sagte ich. »Ich weiß, daß unsere gotischen Vorfahren sich hier aufhielten, bevor sie von den Hunnen nach Westen
    gedrängt wurden. Ich weiß außerdem, daß die Goten,
    während sie in diesem Gebiet hier lebten, neben ihren
    friedlichen Beschäftigungen wie Fischen, Pelztierjagd und Handel auch noch Kriege zur See führten und viele Städte, von Trapezus bis Athen, überfielen.«
    »Nicht ganz«, sagte der Schlamm-Mann und hob einen
    Finger.
    »Die Goten waren immer Soldaten, die zu Fuß oder zu
    Pferd unterwegs waren. Sie waren ein Landvolk. Die
    Seefahrer waren die Kimmerier - wie sie in den alten
    Erzählungen genannt wurden In Wirklichkeit waren das die heutigen Alanen, die auch die Küsten des Schwarzen
    Meeres besiedelt haben. Die Goten überredeten die Alanen, bei solchen Überfällen den Transport der gotischen Krieger zu übernehmen - genau wie Ihr eine Barkasse gemietet
    habt, um hierherzukommen. Die Alanen stellten ihre
    Seefahrerkenntnisse zur Verfügung, die Goten übernahmen die Kämpfe und Plünderungen.«
    »Ich werde mir diese Berichtigung merken«, sagte ich.
    Meirus fuhr fort: »Jene Goten, die vom Meer aus ihre
    Überfälle ausführten, waren berühmt - oder berüchtigt -
    wegen der Kürze und Grausamkeit der Botschaft, die sie stets in die nächste Stadt vorauszuschicken pflegten, der sich ihre Schiffe näherten. Welche Sprache sie auch dafür benutzten, die Botschaft bestand immer aus nur drei Worten.
    Tributum aut bellum. Gilstr aiththau baga. Tribut... oder Krieg.«
    »Aber all das fand doch ein Ende, als die Goten
    schließlich mit Rom eine Allianz schlössen, in Frieden zu leben, und begannen, die römische Kultur und die römischen Sitten zu übernehmen...?«
    »Ja, die Goten genossen damals ein goldenes Zeitalter
    des Friedens und des Überflusses, fünfzig Jahre lang. Bis die Hunnen kamen, geführt von ihrem Häuptling Balamber.«
    Meirus schüttelte kummervoll den Kopf. »Früher hatten die Römer von den Goten gesagt: ›Gott hat sie uns als Strafe für unsere Missetaten gesandt.‹ Später sagten dann die Goten von den Hunnen: ›Gott hat sie uns als Strafe für unsere Missetaten gesandt.‹«
    »Ab diesem Zeitpunkt kennt jeder die Geschichte der
    Goten«, sagte ich. »Was ich nun herauszufinden hoffe ist, was die Goten machten und wo sie sich aufhielten, bevor sie sich hier am Ufer des Schwarzen Meeres niederließen.«
    Der Schlamm-Mann stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich
    bin zwar, weiß Gott, schon sehr, sehr alt, doch so alt nun auch wieder nicht. Außerdem erstrecken sich meine
    hellseherischen Fähigkeiten nur auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit. Ihr sagtet, Ihr hättet vor, die Sumpfgebiete zu durchstreifen. Dort werdet Ihr zumindest auf vereinzelte übriggebliebene Vertreter der Goten stoßen. Vielleicht findet Ihr unter ihnen andere alte Männer, und vieleicht erinnern die sich an Dinge, die ihre Väter und Großväter ihnen
    erzählten. Laßt mich Euch einen vertrauenswürdigen Führer zur Verfügung stellen, Saio Thorn.« Er wandte sich um und rief ins

Weitere Kostenlose Bücher