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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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herunter holte; beide sprachen dabei angeregt mit ihren dünnen alten Stimmen.
    »Ja, ich erinnere mich jetzt an die Zeit, als Thiuda geboren wurde«, sagte Fillein und machte mit seinem zahnlosen
    Mund nachdenkliche Kaubewegungen. »Es war damals, als
    unsere beiden Könige, die Brüder Thiudamer und Walamer, im weit entfernten Pannonien weilten, um die hunnischen Tyrannen im Kampf zu besiegen und -«
    Bauhts unterbrach ihn. »Wir nannten König Thiudamer
    immer den Gütigen und König Walamer den Treuen.«
    Ich nickte und sagte rückblickend in zärtlichem Tonfall:
    «Thiudamers Tochter, Prinzessin Amalamena, hat mir das einmal erzählt.« Vielleicht war es der Klang meiner Stimme, der Swanilda, die gerade der alten Frau bei der Zubereitung eines Mahls für uns half, veranlaßte, mir einen
    nachdenklichen Blick zuzuwerfen.
    Fillein fuhr fort: »Was ich sagen wollte, eines Tages
    erhielten wir damals hier die Nachricht, daß die
    Königsbrüder schließlich die Hunnen besiegt hatten und daß keine Ostgoten mehr in Gefangenschaft waren. Am selben Tag erfuhren wir auch, daß Thiudamers Gemahlin ihm einen Sohn geboren hatte.«
    »Darum«, warf Bauhts ein, »nannten wir den jungen
    Thiuda auch immer Kind des Sieges.«
    Ich sagte zu Fillein: »Dann kanntet Ihr vor der
    Regentschaft Thiudamers und seines Bruders keinen
    Monarchen oder Herrscher außer den hunnischen
    Häuptlingen?«
    »Keineswegs! Vor langer Zeit war ich, wie alle Ostgoten, Untertan von König Vandalar, des Vaters dieser Brüder.«
    »Bekannt als der Vandalen-Eroberer«, sagte Bauhts,
    während sie mit Swanildas Hilfe einen großen
    schmiedeeisernen Topf hochhob und auf dem Herd
    absetzte.
    »Und Vandalars Vater regierte vor meiner Zeit«, sagte
    Fillein, »doch kannte ich seinen Namen. König Widereichs.«
    »Bekannt als der Eroberer der Wenden«, bemerkte
    Bauhts, damit beschäftigt, flache Teigfladen zwischen die Asche im Herd gleiten zu lassen, um daraus Brote zu
    backen.
    Mir war inzwischen klar geworden, daß in diesem Haushalt Fillein für die Namen der Könige zuständig war und seine Frau für deren Beinamen. Doch etwas kam mir merkwürdig vor, und deshalb wollte ich wissen: »Werter Fillein, warum bezeichnet Ihr diese Männer als Könige? Ihr sagtet doch selbst, daß die gesamte ostgotische Nation bis zur Zeit der Brüder Thiudamer und Walamer von den Hunnen
    unterdrückt wurde.«
    »Ha!« rief er aus und seine schnarrende alte Stimme klang kräftiger vor Stolz, als er erklärte: »Unsere Könige hielt das zu keinem Zeitpunkt davon ab, auch weiterhin Könige zu sein, oder unsere Krieger, sich weiterhin als Krieger zu fühlen. Und obwohl die Hunnen in der Tat wilde Barbaren waren, handelten sie andererseits auch klug. Sie wußten, daß unsere Männer von ihnen niemals Befehle
    entgegennehmen würden. Deshalb ließen sie die königliche Thronfolge unangetastet, was zur Folge hatte, daß unsere Krieger ihre Befehle von unseren Königen entgegennahmen.
    Der einzige Unterschied bestand darin, daß wir nun keine unserer angestammten Feinde mehr bekämpften, sondern
    die Feinde der Hunnen. Einerlei. Für einen Krieger lohnt sich jeder Kampf. Als die Hunnen gen Westen zogen, um die
    elenden Wenden in den Tälern der Karpaten zu besiegen, war es unser König Widereichs, der unsere Krieger in den Kampf führte, um den Hunnen dabei hilfreich zur Seite zu stehen. Und später, als die Hunnen die Vandalen aus
    Germanien vertreiben wollten, war es unser König Vandalar, der unsere Krieger in diese ruhmreiche Schlacht führte.«
    »Wie Ihr sagt, vertrieben die Hunnen alle anderen in
    Richtung Westen, einschließlich fast aller Goten. Wie ist es dann zu erklären, daß Ihr hier lebt?«
    »Denkt nach, junger Marschall. Römer, Hunnen oder jede beliebige andere menschliche Rasse mögen auf dem Erdball herumwüten, soviel sie wollen. Die verschiedenen Gebiete mögen viele Male den Besitzer wechseln. Der Grund und
    Boden mag mit Blut getränkt, mit Knochen, Gräbern oder rostenden und verrottenden Rüstungen übersät sein. Diese Dinge geraten in Vergessenheit und verschwinden während eines einzigen Menschenlebens. Ich selbst bin Zeuge dieser Vorgänge. Doch die Erde selbst ändert sich nicht. «
    »Meint Ihr damit... daß ein Mann nur der unveränderlichen Erde Loyalität schuldig ist? Und keinen Vorfahren, keinem König, keiner Verwandtschaft?«
    Er antwortete nicht sofort darauf, sondern fuhr fort:
    »Balamer führte seine plündernden Hunnen vor hundert
    Jahren

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