Der Greif
daß du vorhast, dich mir anzuschließen, statt davon zu sprechen, sie abzubrechen.«
Thor sagte erneut: »Ich verabscheue Reisen,
Unannehmlichkeiten und das Leben im Freien. Ich
bevorzuge bei weitem eine geordnete und behütete
Existenz. Um das zu erreichen - gemeinsam mit dir wäre ich ganz und gar nicht abgeneigt, die zweifelhaften Vorteile meiner doppelten Identität aufzugeben. Ich hätte keinerlei Bedenken, mein wahres Ich auszuleben, und würde
wohlgemut jede Niederträchtigkeit ertragen, die das mit sich bringen würde. Warum sträubst du dich dagegen, es mir
gleich zu tun, Thorn? In Novae erfuhr ich, daß du nicht unvermögend bist, und man zeigte mir dein nobles
Anwesen. Warum sollten wir beide nicht einfach dorthin zurückkehren, um dort angenehm und glücklich in müßiger Zurückgezogenheit zu leben und das gemeine Volk denken oder reden lassen, was es will?«
»Liufs Guth!« stieß ich hervor. »Ich habe gearbeitet,
gekämpft und getötet, um den Rang und Reichtum eines
Herzogs zu bekommen. Ich habe gearbeitet, gekämpft und getötet, um meinen Posten zu behalten. Wenn König
Theoderich erfahren sollte, daß er einen Hermaphroditen in den Adelsstand erhoben hat, wie lange, glaubst du, würde ich dann noch Herzog sein? Oder wohlhabend? Oder
Besitzer dieses Anwesens? Nein, ich habe nicht vor, auf alles zu verzichten, was ich besitze, nur um der Welt der Normalen ein trotziges Schauspiel zu bieten.«
Der Gedanke ging mir durch den Kopf, daß meine Worte
wie die eines Christen wirken mußten: unerschütterlich darauf beharrend, gut zu sein und das Richtige zu tun, und das nur wegen der Belohnungen, die für ein solches
Verhalten winken. Deshalb sagte ich noch: »Theoderich und ich waren schon lange Freunde, bevor er König wurde, ich meinen Treueeid ablegte und er mich zu seinem Marschall machte. Bei unserer allerersten Begegnung rettete er mir nach dem Biß einer Viper das Leben. Ich schulde ihm mehr als die Vasallentreue, die man einem König
entgegenzubringen hat ich schulde ihm als Mensch
kameradschaftliche Loyalität. Außerdem übernahm ich mit den Privilegien der Herzogswürde gleichzeitig auch
Verpflichtungen. Darüber hinaus muß ich an meine
Selbstachtung denken. Ich habe diese Mission
angenommen und ich werde sie auch zu Ende führen. Du
kannst mit mir kommen, Thor, oder hier bleiben und auf mich warten, ganz wie es dir beliebt.«
Mochten diese Worte auch entschlossen und herrisch
klingen, so zeugten sie doch in Wahrheit vom
ausweichenden Verhalten eines Schwächlings. Ich
versäumte es nämlich, eine dritte Alternative zu erwähnen: daß Thor nach Tolosa zurückkehren oder woanders
hingehen und mich für immer verlassen könnte. Doch haltet mir zugute, daß ich ihm bereits verfallen war. Obwohl Thor bemerkthaben mußte, daß ich nur zwei der drei
Möglichkeiten dargelegt hatte, reagierte er keineswegs hocherfreut, sondern hüllte sich in eisiges Schweigen.
Deshalb bemerkte ich, während ich mit einer gewissen
Unruhe darauf wartete, Thor sagen zu hören: »Ich werde dich begleiten« oder »Ich werde auf dich warten«: »Meine Begleiterin Swanilda war übrigens früher auch Kammerzofe.
Zuerst bei Theoderichs Schwester, Prinzessin Amalamena, später dann bei seiner -«
Thor brach sein Schweigen und herrschte mich an:
»Wahrhaftig! Du verlangst von mir Treue und Beständigkeit und hast die ganze Zeit seit Novae diese Dirne bei dir!«
Ich versuchte zu protestieren: »Ich habe nichts verlangt von -«
»Du sagtest, ich brauche nicht mehr weiter zu suchen,
oder vom Pfad der Tugend abzuweichen. Willst du mir jetzt allen Ernstes erzählen, daß ich dich von nun an mit dieser Schlampe teilen muß?«
»Nein, nein«, sagte ich unschlüssig. »Das wäre wohl
keinem von euch beiden gegenüber fair. Und da ich damit rechnete, daß du tatsächlich mit mir Weiterreisen würdest, habe ich auch schon mit Swanilda gesprochen... und
angedeutet, daß sich unsere Wege bald trennen würden...«
»Das möchte ich auch hoffen! Und wer ist eigentlich dieser Made, von dem du sprachst? Ist das deine männliche Konkubine?«
Über diese absurde Vorstellung mußte ich einfach lachen, was der Standpauke, die Thor nun zu hören bekam, ein
wenig die Schärfe nahm: »Nun hör' mir mal gut zu! Ich gebe zu, daß du mit deiner Bemerkung vorhin recht hattest - daß wir beide gleich sind wenn wir uns unserer Kleider und anderer Oberflächlichkeiten entledigt haben. Wenn wir ab jetzt ein Paar sein
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