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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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daß du einen hast? Und ist dir auch nicht aufgefallen, daß ich einen habe?«
    »Ich trage überhaupt nichts. Oder wenigstens nichts außer der Gänsehaut meiner Erregung. Ich weiß nicht, was ein Venuskragen ist.«
    »Die kleine Falte rund um deinen Hals, genau da.« Thor zeich nete sie mit einer Fingerspitze nach, was meine
    Gänsehaut ungeheuer verstärkte. »Bei Männern tritt dieses Phänomen nicht auf nur bei manchen Frauen. Und
    zumindest bei uns beiden glücklichen Hermaphroditen. Es handelt sich dabei um keine Runzel; es heisst daß der
    Venuskragen schon bei ganz kleinen Mädchen beobachtet
    werden kann, lange bevor sie ihn zu Recht tragen.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Der Venuskragen ist ein untrüglicher Hinweis auf einen ungewöhnlich ausgeprägten sexuellen Appetit. Sind dir nicht schon Frauen aufgefallen, die genau an dieser Stelle ein Band um den Hals tragen? Sie versuchen keusch, dieses
    Indiz zu verbergen« -Thor lachte - »oder so zu tun, als besäßen sie es.«
    Obwohl mir entgangen war, daß wir beide diesen
    Venuskragen hatten, war mir der eine auffallende
    Unterschied zwischen unseren Körpern sofort ins Auge
    gestochen. Mein eigener Körper wies nur belanglose Spuren vergangener Mißgeschicke auf- wie die winzige Narbe, die meine linke Augenbraue spaltete und von der Keule eines burgundischen Bauern herrührte, und die halbmondförmige Narbe auf meinem rechten Unterarm, wo Theoderich den
    Schlangenbiß herausgeschnitten hatte. Doch der obere Teil von Thors Rücken, zwischen seinen Schulterblättern, war durch eine wirklich fürchterliche Narbe entstellt. Sie war glänzend weiß und runzlig und sicher schon so alt, daß Thor sie seit seiner Kindheit haben mußte. Sie war so groß wie meine Handfläche und kein Andenken an einen Unfall, da sie die Form des »gebogenen Kreuzes« aufwies jene vier rechtwinkligen Arme, die den kreisförmig geschwunge nen Hammer des Gottes Thor symbolisieren. Allein der Anblick dieser Narbe tat mir schon weh, als könnte ich den
    höllischen Schmerz spüren, den Thor als Kind empfunden haben mußte, als das Zeichen in seine glatte Haut
    geschnitten oder eingebrannt worden war.
    Ich fragte: »Wie kamst du zu dieser Narbe?«
    »Mein allererster männlicher Liebhaber«, sagte Thor so beiläufig, als seien sowohl der Liebhaber als auch die Verletzung völlig belanglos. »Ich war sehr jung und nicht besonders treu. Er war sehr eifersüchtig und nicht
    besonders nachsichtig. Daher das Brandzeichen der
    Schande.«
    »Warum brandmarkte er dich mit dem Hakenkreuz?«
    Thor zuckte nachlässig mit den Schultern. »Es war
    wahrscheinlich ironisch gemeint. Weil Thors Hammer über den frisch Vermählten geschwungen wird, um Beständigkeit zu garantieren. Doch bin ich bestrebt, aus allem, was mir widerfährt, wenigstens einen gewissen Nutzen zu ziehen.
    Die Narbe brachte mich zumindest auf die Idee, Thor als meinen männlichen Namen anzunehmen.«
    »Und du sagtest, Genoveva sei dein weiblicher Name. Wie lange benutzt du den schon?«
    »Seit ich denken kann. Die Nonnen gaben mir diesen
    Namen, als ich ein Säugling war. Sie nannten mich nach der Königin und Gemahlin des großen Kriegers der Westgoten, Alareichs.«
    »Interessant«, sagte ich. »Bei mir war es genau
    umgekehrt. Den männlichen Namen Thorn bekam ich als
    Säugling, später wählte ich dann Veleda als meinen
    weiblichen Namen.«
    Thor lächelte mich einladend an und liebkoste mich
    aufreizend. »Bist du nervös, Thorn-Veleda? Redest du
    deshalb so viel? Wirklich, Thorn! Auf diese Nacht haben wir lange gewartet. Komm. Laß' uns beweisen, daß wir unsere Venuskrägen zu Recht tragen.«
    An diesem Punkt muß ich gestehen, daß meine
    angenehmen Erinnerungen an die Wonnen, die mir frühere Liebhaber verschafft hatten, während des
    Geschlechtsverkehrs mit Thor verblaßten und in
    Vergessenheit gerieten. Die Genüsse, an denen ich mich erst vor kurzem mit Swanilda ergötzt hatte, schienen schal im Vergleich zu dem, was mir jetzt an Genuß geboten
    wurde. Rückblickend sah ich jetzt jeden Geschlechtsakt, jeden beliebigen Partner meines bisherigen Lebens in
    diesem Licht - Widamer, Renata, Naranj, Dona, Deidamia, all die anderen, an deren Namen ich mich nicht mehr
    erinnerte - selbst Gudinand, dessen Andenken ich schon so lange in Ehren hielt.
    Wenn es etwas gab, das mich daran hinderte, diese Nacht aus vollem Herzen zu genießen, dann war es eine kleine Ungereimtheit, die mir keine Ruhe ließ. Seit Swanildas

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