Der Greif
Gebäude. Ich dachte, Swanilda sei überstürzt geflohen und schon weit weg, doch schlich sie nur traurig über den Hof vor den Stallgebäuden des Gasthauses. Als ich sie eingeholt hatte, platzte ich mit dem ersten Satz heraus, der mir in den Sinn kam: »Hast du schon gefrühstückt, Swanilda?«
Sie entgegnete scharf: »Natürlich. Es ist fast Mittag.
Meirus gab mir etwas zu essen.« Doch als sie mir ihr
Gesicht zuwandte, war es nicht zornig, sondern
tränenüberströmt.
Ich entschloß mich, keine Hinhaltetaktik zu betreiben, sondern sofort zur Sache zu kommen. »Meine Liebe, du
sagtest mir selbst, bevor wir diese Reise antraten, daß ich jederzeit nur zu sagen brauchte: ›Swanilda, genug‹.«
Sie fuhr sich über die Augen. »Ach, geliebter Thorn, ich war innerlich darauf vorbereitet, dich eines Tages zu
verlieren. Vielleicht an eine andere schöne Prinzessin wie Amalamena. Doch hätte ich mir nie träumen lassen, daß ich dich an einen Mann verlieren könnte.«
Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Thor und ich waren also durch unsere Decken wirklich ausreichend verhüllt gewesen. Swanilda dachte nur, sie wisse, was sie gesehen habe.
Ich erwiderte: »Ich sagte dir doch, daß Thor und ich
gestern abend viel zu besprechen hatten. Als uns dann der Schlaf übermannte, kippten wir einfach um.«
»Und einander in die Arme. Sei kein Heuchler, Thorn. Ich mache dir keine Vorwürfe. Schließlich hätte ich dich auch nicht zu überraschen brauchen. Ich bin nur so traurig, weil...
weil ich dich so gut zu kennen glaubte.« Sie versuchte zu lachen, schluchzte aber statt dessen. »Da habe ich mich wohl geirrt, oder?«
Ich war nicht gerade erfreut darüber, daß sie Thor und mich für zwei verachtenswerte Homosexuelle hielt, doch war das immer noch besser, als wenn sie uns als das erkannt hätte, was wir wirklich waren, und es womöglich noch in alle Welt hinausposaunt hätte.
»Es tut mir leid, daß du das entdeckt hast, Swanilda. Oder zumindest auf diese peinliche Art und Weise entdecken
mußtest. Doch gibt es da noch ein paar Dinge, die du
unmöglich wissen kannst. Wenn du sie wüßtest, würdest du vielleicht besser von mir denken.«
»Ich denke nicht schlecht von dir«, sagte sie, und es klang aufrichtig. »Ich lasse dir deine - deine Vorlieben. Doch werde ich mich nicht von dir trennen. Wir wollen weitermachen mit der Mission.«
»Nein, das wollen wir nicht.«
Sie schaute mich ungläubig an. »Du würdest die Suche
aufgeben?«
»Nein, ich will nur, daß sich unsere Wege trennen. Ich möchte, daß du nach Novae zurückkehrst.«
Sie sah untröstlich aus. »Ach, Thorn, als ich dir damals erklärte, du könntest jederzeit sagen: ›Swanilda, genug‹, fügte ich hinzu, daß ich von diesem Zeitpunkt an dann deine demütige Dienerin sein würde. Bitte - laß mich wenigstens das für dich sein.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre für dich, für mich, für jeden von uns unerträglich. Du mußt das einfach einsehen, und besser jetzt als später.«
Sie wirkte nun völlig verzweifelt. »Bitte, Thorn!«
»Swanilda, ich halte nicht viel von Hellsehern, doch
vielleicht sollte man sie in ganz seltenen Fällen manchmal ernstnehmen. Gestern abend sagte Meirus voraus, daß du mir exakt am heutigen Tag die Freundschaft aufkündigen würdest. Ich schlage vor, daß du genau das tust.«
» Das kann ich nicht!«
»Doch. Es wird uns das Abschiednehmen erleichtern, und Abschied nehmen müssen wir. Nun komm, geh mit mir zu
dem Haus des alten Juden. Ich bin ganz benommen vor
lauter Schlafmangel. Ich werde ihn um einen Schluck Wein bitten, der meine Lebensgeister wieder wecken soll, und um eine Kleinigkeit zu essen.«
Meirus begrüßte mich lediglich mit einem kurzen Knurrlaut und trug einem Dienstboten nur widerwillig auf, die Mahlzeit zu servieren, um die ich ihn gebeten hatte. In der
Zwischenzeit huschte sein mürrischer Blick zwischen mir und Swanilda hin und her Sie hatte mich schweigend, wenn auch schleppenden Schrittes, begleitet und saß nun mit kummervoller Miene da. Aber sie erzählte dem Schlamm-Mann nicht, was sie in der Herberge vorgefunden hatte, sondern sagte nur, sie wolle ihr Pferd holen und es zum Gasthaus führen, um all ihre Sachen zu holen und
zusammenzupacken, die sie noch in unseren Zimmern
hatte. Es blieb mir überlassen, Meirus zu erzählen, daß ich Swanilda heim nach Novae schickte -
um unsere
Reisegruppe zu entlasten, wie ich sagte. Diese Bemerkung schien die schlechte
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