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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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in Canstantia lange genug Händler, bevor ich Priester wurde, und ich erbitte die Erlaubnis, ein paar Worte zu sagen, die bei diesen Verhandlungen vielleicht bedacht werden
    sollten.«
    Selbstverständlich beugte sich das Judicium seinem
    Willen, und genauso selbstverständlich erwartete ich, daß Tiburnius vor dem Dux Latobrigex zu Kreuze kriechen
    würde. Aber dem neu ernannten Priester war wohl die ihm verliehene geistliche Macht zu Kopf gestiegen - und er muß diese Gelegenheit, seine Autorität zu beweisen, sehr
    begrüßt haben -, denn was er sagte, überraschte mich nicht wenig.
    »Wahrlich«, hob er an. »Die, die diese schwerwiegende
    Anklage gegen einen angesehenen Bürger Constantias
    vorbrachte, ist nichts weiter als eine Fremde auf der
    Durchreise. Aber ich erinnere euch daran, Hohe Herren, daß unser Constantia seinen Wohlstand keinem anderen als
    diesen durch seine Tore strömenden Fremdlingen verdankt.
    Jeder Bürger, vom höchsten zum geringsten, verdient selbst die kleinste Münze seines Profits an diesen Fremdlingen: den reisenden Kaufleuten, Händlern und Lieferanten Roms.
    Würde sich nun die Kunde verbreiten, Constantias Gesetz schütze nur Constantias Bürger, daß ein Fremdling, und sei es so eine Unperson wie diese vagabundierende jugendliche Hure, schutzlos der Ungerechtigkeit preisgegeben wurde, welcher Gefahr würden wir, meine Hohen Herren, die
    Prosperität Constantias aussetzen? Und die Eure? Und die dieser Kirche Gottes? Ich empfehle, daß Ihr dem Ersuchen der Petentin auf ein Gottesurteil durch Zweikampf zwischen Jaerius und Gudinand stattgebt. So befreit Ihr Euch von der Bürde, für oder gegen eine der streitenden Parteien befinden zu müssen. Bei einem Gottesurteil ist es der HERR, der richtet.«
    »Wie kannst du es wagen?« brauste Robeya auf, während
    ihr Mann sich nicht rührte und ihrem Sohn der Schweiß auf die Stirn trat. »Du robentragender Krämer, wer bist du eigentlich, daß du es wagst, einem Mitglied der Nobilität einen vulgären, öffentlichen Zweikampf gegen dieses
    ausgestoßene und kopfkranke Gewürm zu befehlen - um
    dieses wertlosen weiblichen Abschaums willen?«
    »Clarissima Robeya«, der Priester sprach sie ihrem
    Stande entsprechend an, drohte ihr aber mit dem erhobenen Zeigefinger. »Die Pflichten und Rechte der Nobilität sind wahrlich schwerwiegend. Aber noch viel schwerwiegender ist das Amt des Priesters, denn am Tage des Jüngsten
    Gerichts ist er es, der selbst über Könige Rechenschaft ablegen wird. Clarissima Robeya, selbst wenn Ihr den Rest der menschlichen Gattung an Würde übertreffen solltet, so muß Euer Stolz sich doch vor den Statthaltern der
    christlichen Mysterien verbeugen. Wenn Euer Priester
    spricht, dann ist es an Euch, ihm Respekt, nicht Widerspruch zu erweisen. Daran muß ich Euch mit dem größten Ernst
    erinnern. Ich warne Euch als Euer Priester, und es ist Christus, der Euch durch mich warnt.«
    »Das«, murmelte Wyrd, »hat sogar diesen Drachen
    erschreckt.« In der Tat war die Gesichtsfarbe der Hohen Frau während der Zurechtweisung ins Aschfarbene
    umgeschlagen. Sie schwieg jetzt, und Jaerius schwitzte noch heftiger als zuvor. Nach einem Moment der Stille ergriff Latobrigex das Wort. Er legte eine Hand auf Robeyas Arm und sagte mit seiner sanften Stimme: »Tata Tiburnius hat recht, meine Liebe. Gerechtigkeit muß geschehen, und im Urteil Gottes ist es der HERR, der entscheidet. Laß uns auf Gott vertrauen - und den starken Arm unseres Sohnes.« Er wandte sich an das Judicium. »Meine Hohen Herren, ich
    stimme dem Antrag zu. Der Kampf möge morgen früh
    ausgetragen werden.«
    6
    Die Neuigkeit mußte über Nacht in jeden Winkel der Stadt und über ihre Grenzen hinaus getragen worden sein. Als Wyrd und ich - übrigens wieder als Thorn - am Amphitheater ankamen, schien die gesamte Bevölkerung Constantias und der näheren Umgebung vor den Toren zu stehen und sich
    um die zum Eintritt berechtigenden Lehmtäfelchen zu
    streiten.
    Die Kirche hatte Gladiatorenkämpfe lange Zeit mit
    Mißfallen betrachtet, und die meisten christlichen Cäsaren hatten die Kämpfe verboten. Wahrscheinlich wurden in
    entfernten Provinzen trotzdem insgeheim solche Kämpfe
    veranstaltet, aber in Rom selbst hatte es schon seit fünfzig Jahren vor meiner Geburt keine Kämpfe mehr gegeben. Der heutige Zweikampf wurde natürlich nicht mit dem
    Kurzschwert oder einer der anderen traditionellen Waffen dem Dreizack, der Keule oder dem Wurfnetz -, sondern nur mit

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