Der Greif
unverzüglich
freigesprochen werden.« Wyrd betrachtete Gudinand und
sagte: »Du und diese hervorragende Figur da, ihr seid
ungefähr gleich alt und gleich groß. Würdest du dich ihm in einem fairen und öffentlichen Zweikampf stellen?«
Gudinand, offensichtlich erleichtert, von Juhizas
furchterregendem Beschützer noch nicht verprügelt worden zu sein, erwiderte, daß er gegen Jaerius mit Vergnügen kämpfen würde.
»So sei es«, beschloß Wyrd. »Laßt uns Jaerius in die
Stadt eskortieren und das alte Recht des Gottesurteils anrufen,«
»Was?« protestierte Jaerius lautstark. »Ich, der Sohn des Dux Latobrigex, soll mit einem Gemeinen kämpfen? Mit dem erbärmlichsten Krüppel und Schwachkopf der Stadt? Ich
weigere mich strikt, solch eine anmaßende...«
»Halt den Mund«, schnitt ihm Wyrd so beiläufig, als würde er sich an mich wenden, das Wort ab. »Junge, fessle ihm mit deinem Kopftuch die Hände. Ich verwende seinen Gürtel als Leine, an der ich in führen werde. Und du, Gudinand, nimm diesen Stock, der heute schon zweimal geschwungen
wurde. Sollte der Gefangene versuchen zu fliehen,
gebrauche den Stock, und zwar kräftig.«
So trat ich nochmals - und zwar in derselben Nacht noch -
als Juhiza vor die Öffentlichkeit, diesmal in der Basilika des Heiligen Johannes. Wie die meisten Kirchen in den
Provinzen wurde auch diese Kirche - neben kirchlichen
Zwecken - für Tribunale eingesetzt. Dort stand ich vor dem hastig zusammengerufenen Judicium von Constantia und
klagte Jaerius der Gewaltanwendung und der versuchten
Vergewaltigung an. Ich forderte, daß seine Schuld oder Unschuld anhand eines Gottesurteils festgestellt werden möge. Gudinand, so bat ich die drei Richter, sollte an meiner Statt kämpfen. »Meine Hohen Herren,« sagte Wyrd, der als mein Jurisconsultus fungierte, »ich schlage vor, daß die Angelegenheit im Amphitheater der Stadt geregelt wird -
damit ganz Constantia sehen kann, daß dem Recht Genüge getan wird -, und als Waffen Stöcke zu wählen, denn Stöcke scheinen mir das bevorzugte Werkzeug des Angeklagten zu sein.«
Die Richter blickten skeptisch und beratschlagten sich aufgeregt. Das überraschte mich kaum, denn unter den
Anwesenden befanden sich - außer mir, Gudinand, Wyrd
und dem noch immer gefesselten Jaerius - auch der Dux
Latobrigex, seine Frau Robeya und natürlich der Priester der Kirche, Tiburnius. Es war das erste Mal, das ich Latobrigex sah, und er sah aus, wie er mir beschrieben worden war: ein unauffälliger Mann von sehr zurückhaltendem Auftreten.
Seinen einzigen Einwand gegen die Verhandlung trug er mit fast demütiger Stimme vor:
»Meine Hohen Herren«, sagte er, »die Petentin, die diese Anklage vorbringt, ist nichts weiter als eine Fremde, eine umherziehende Streunerin. Ich will ihre Redlichkeit nicht anzweifeln, aber ich gebe zu bedenken, daß ihr Verhalten moralisch zweifelhaft erscheint. Dieser Vorfall begab sich angeblich, als sie ohne Begleitung nach Einbruch der
Dunkelheit unterwegs zu einem abgelegenen und einsamen Dickicht war, ohne die gehörige weibliche Begleitung...«
Seine Frau unterbrach ihn. Sie starrte mich mit
haßerfüllten Augen an und fuhr aufgebracht fort:
»Diese zügellose Hure wagt es, einen eingeborenen
Bürger Constantias zu beklagen? Den Sohn unseres Dux?
Den Sohn des römischen Legaten? Einen Abkömmling des
Hauses von Colonna? Ich, Hohe Herren, verlange, daß
diese verleumderische Anklage zurückgewiesen wird, daß Jaerius von allen Anschuldigungen reingewaschen wird -
und daß diese kleine Hure öffentlich entkleidet und mit Peitschenhieben aus der Stadt vertrieben wird.«
Die Richter steckten wieder ihre Köpfe zusammen und
tuschelten miteinander. Ich raunte Wyrd zu: »Ganz so, wie es zu erwarten stand. Aber was ist das mit diesen
Colonnas?«
»Einstmals«, flüsterte Wyrd zurück, »eine der
vornehmsten Familien Roms. Und jetzt? Schau dir diesen saftlosen Latobrigex Colonna dort drüben an. Hätte ein Mann aus weniger degenerierter Familie eine solche Virago wie Robeya geehelicht? Oder ein Scheusal wie Jaerius in die Welt gesetzt? Trotzdem läßt es sich kein Colonna
nehmen, seinen Status als Clarissimus herauszukehren.
Aber...«
Wieder wurden wir unterbrochen, diesmal jedoch von
Tiburnius, dem Priester, der salbungsvoll sagte:
»Meine Hohen Herren, die Kirche befaßt sich nicht mit rein weltlichen Angelegenheiten, und solange ich Diener der Kirche bin, wird sie das auch nicht tun. Aber ich war
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