DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Majestät ist anderweitig beschäftigt.«
Dieser allgemeinen Aussage war nicht viel zu entnehmen. Tan zögerte. Dann sagte er: »Ich bin gerade über die Brücke gekommen. Aus Teramodian. Die Verfolger waren mir zu dicht auf den Fersen, um den Fluß weiter nördlich zu überqueren. Ich war gezwungen, nach Süden zu fliehen, und habe es trotzdem nur mit knapper Not geschafft, Linularinum zu verlassen. Jetzt, wo ich erfahren habe, dass Seine Majestät hier ist, macht das nichts mehr aus. Falls er mich empfangen möchte. Oder wenn Ihr es möchtet, mein Fürst, aber privat, ich bitte Euch.«
Bertaud sah ihn eine ganze Weile lang nur an. Tan bemühte sich, den Eindruck eines aufrichtigen Dieners des Königs zu vermitteln, nicht den eines verzweifelten Narren, der in Linularinum bei Hofe gepatzt hatte und nach Hause geflüchtet war, um sich zu retten. Wenig später hakte Bertaud nach: »Teras, Sohn von Toharas, nicht wahr? Ist das der Name, den ich dem König überbringen soll?«
Tan zögerte. Dann überraschte er sich selbst mit den Worten: »Tan. Ihr mögt Seiner Majestät sagen, dass es Tan ist, der ihm eine problematische Gabe überbringt.«
»Sohn von?«
Er schüttelte den Kopf. »Nur Tan.« Er stellte sich auf Argwohn oder Verachtung ein – je nachdem, ob der Fürst ihn für unverschämt verschlossen hielt oder für den Sohn eines achtlosen Vaters. Ganz gewiss hatte Tan nicht vor, irgendeine Erklärung zu geben. Besonders nicht, wenn er an den Inhalt der beiden möglichen Antworten dachte.
Aber er stieß weder auf Argwohn noch auf Verachtung. Fürst Bertaud senkte nur ernst den Kopf. »So werde ich den König informieren«, verkündete er, warf dem Wachhauptmann mit hochgezogenen Brauen einen Blick zu und verließ das Zimmer.
Der Hauptmann starrte auf Tan hinab und schüttelte den Kopf. »Hm.«
Tan senkte bescheiden den Kopf und fügte sich ins Warten.
Nach überraschend kurzer Zeit schwang die Tür erneut auf. Bertaud trat als Erster ein, trat jedoch sogleich beiseite und hielt persönlich die Tür auf.
Iaor Daveien Behanad Safiad, König von Farabiand und mehr oder weniger auch des Deltas, pflegte eindeutig keinen großen Pomp, wenn er Tiefenau besuchte. Er wurde weder von Dienern noch von eigenen Wachleuten begleitet; er trug weder Krone noch Schmuck, abgesehen von einem mittelgroßen Rubin an einem schweren Goldring. Aber selbst wenn Tan ihn nie zuvor gesehen hätte, wäre ihm klar geworden, dass er den König vor sich hatte.
König Iaor war breit gebaut – untersetzt, nicht übermäßig groß. Seine Haltung verriet jedoch mehr als nur Selbstsicherheit und drückte ein Bewusstsein der eigenen Autorität aus, das fraglos königlich war. Tan holte tief Luft und wartete darauf, dass der König als Erster das Wort ergriff. Dieser blickte jedoch ungeduldig zur Tür, woraus Tan schloss, dass sie noch auf jemanden warteten – vielleicht war der König doch nicht ohne Adjutanten oder Dienstboten hier.
Fürst Bertaud hielt nach wie vor die Tür auf und vermittelte dabei den Eindruck von Erheiterung und Ungeduld zugleich. Rasche Schritte wurden vernehmbar, und dann eilte ein untersetzter, breitschultriger junger Mann von vielleicht achtzehn Jahren ins Zimmer, der ein Mädchen von ungefähr dem gleichen Alter begleitete. Sie war von adretter Gestalt und schlichter Schönheit, das weizenblonde Haar von einem Band gehalten.
»Ich bitte um Verzeihung, Vetter«, entschuldigte sich die junge Frau hastig bei Bertaud, biss sich dann auf die Lippe und wandte sich an den König. »Es ist meine Schuld, dass sich Erich verspätet hat – ich habe ihn gefragt, wohin er so eilig unterwegs war, und habe ihn dazu überredet, mich mitzubringen. Falls Ihr … das heißt, falls Euch das nichts ausmacht? Bitte?« Sie warf einen Seitenblick auf Bertaud.
»Maianthe …«, hob Bertaud in einem Tonfall gereizter Zuneigung an.
»Die Schuld liegt allein bei mir«, erklärte der junge Mann sogleich, der, wie Tan deutlich wurde, Erichstaben sein musste, der Sohn von Brekan Glansent. Oder wie es die Casmantier ausgedrückt hätten: Prinz Erichstaben Taben Arobarn, erster und einziger Sohn von Brekan Glansent Arobarn – des Arobarn –, König von Casmantium. Der Prinz war derzeit Geisel am Hofe König Iaors. Allerdings schien sich der casmantische Prinz gewiss nicht wirklich als Geisel zu fühlen. Er wandte sich mit einertiefen Stimme an Iaor und sprach mit kehligem, abgehacktem Akzent: »Eure Majestät, falls Ihr meine
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