DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
hin zu ertragen, solange Ihr nur am Leben seid und diesen Befehl geben könnt! Ich bitte um Verzeihung, mein Fürst, und bitte Euch erneut darum, kein Risiko einzugehen, das, Erde und Eisen, mein Fürst, einfach nicht nötig ist!«
Tan war beeindruckt. Er glaubte, dass die Wachleute allesamt aufgehört hatten zu atmen. Er wusste, dass bei ihnen allen das bloße Entsetzen sich längst in nacktes Grauen verhandelt hatte. Hätte er irgendetwas geplant, dann wäre jetzt sicherlich der richtige Augenblick für die Ausführung gewesen, wo die Aufmerksamkeit aller allein dem Hauptmann galt. Leider fand er keine Gelegenheit, aus dieser Ablenkung einen Nutzen zu ziehen.
»Hauptmann Geroen, Ihr müsst ganz gewiss Eure Männer fortschicken, falls Ihr ihre Unschuld mit einem so furchtbaren Beispiel kompromittiert«, befahl Bertaud schließlich nach einer angespannten Gesprächspause. »Ihr könnt jetzt dafür sorgen.«
Der Hauptmann führte eine kurze Handbewegung aus. Seine Männer ergriffen die Flucht.
»Ich denke«, wandte sich Bertaud trocken an den König, »dass dies alles an Privatsphäre ist, was wir erwarten dürfen.«
Der König war eindeutig bemüht, nicht zu lächeln. »Die Loyalität deines Hauptmanns wirft ein günstiges Licht auf dich, mein Freund.« Er blickte von Bertaud zu Hauptmann Geroen. »Natürlich ist der Wert der Loyalität sehr begrenzt, wenn mit ihr nicht Diskretion Hand in Hand geht.«
Darauf fand Geroen keine Antwort. Er bewegte die massigen Kiefer und senkte den Kopf.
»Also«, wandte sich Iaor mit recht trockenem Ton an Tan, »vielleicht werdet Ihr mir jetzt die Nachrichten übermitteln, die Ihr aus Linularinum bringt.«
Tan blickte mit Bedacht auf Prinz Erichstaben und auf die Dame Maianthe.
»Ich denke, wir brauchen uns keine Sorgen um Erichs Diskretion zu machen«, erklärte König Iaor.
»Und ganz sicher nicht um die Maianthes«, fügte Bertaud spröde hinzu.
Tan seufzte, senkte den Kopf und begann zu berichten. »Ich gehöre zu Moutres’ Geheimagenten, wie Ihr Euch zweifellos erinnert, Eure Majestät. Ich weiß nicht, ob Ihr auch wusstet, dass ich in Linularinum war, in Teramodian am Hofe des alten Fuchses? Seit Jahren habe ich dort verdeckt gearbeitet, versteht Ihr? Und ich habe etwas erreicht. Ich bin an Istierinans private Papiere gelangt.«
»Istierinan Hamoddian?«, fragte König Iaor scharf.
Tan versuchte, bescheiden zu wirken. »Ja, er persönlich. Er war ein wenig aufgebracht, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Ich konnte mit zwei Schritten Vorsprung vor seinen Leuten aus Teramodian fliehen. Ich hatte vor, Tihannad zu erreichen, abersie hingen mir zu dicht an den Fersen. In Falle waren sie nur noch einen halben Schritt hinter mir, in Desamion noch weniger …« Tan brach ab und hob die geketteten Hände, um sich über den Mund zu wischen. Einen Augenblick später fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Erde und Stein, zweimal dachte ich schon, sie würden mich einholen, ehe ich es über den Fluss schaffte …« Er unterbrach sich erneut. Dann holte er tief Luft, blickte dem König in die Augen und sagte: »Sie haben mir über den Fluss nachgesetzt.«
»Das haben sie wirklich?« König Iaor beugte sich vor und umklammerte die Armlehnen. »Wie konnten sie es nur wagen?«
»Ich weiß es nicht, Eure Majestät. Es hat auch mich überrascht, umso mehr, als sie gewusst haben müssen, dass Ihr hier wart. Unverletzt, so hat mich Hauptmann Geroen vorhin genannt. Erde und Stein, jedes Haar an meinem Körper hätte eigentlich in den zurückliegenden Tagen weiß werden müssen! Diese Leute haben mir so hart zugesetzt, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, als zwei aufrechte Wachmänner mich erwischten, wie ich in einer Gasse gleich neben zwei Toten stand. Mitten auf der Straße von der Stadtwache erwischt! Moutres wäre nicht der Einzige, der vor Lachen vom Stuhl fiele, wenn er davon erführe. Aber …« – Tan nickte Geroen kurz zu – »… wäre ich nicht von ihnen aufgegriffen worden, weiß ich nicht, ob ich die Nacht überlebt hätte. Und hätte Hauptmann Geroen mir nicht vergangene Nacht einen zusätzlichen Wachmann zugeteilt und mich mit der Hälfte seiner Leute geschützt, um mich hierherzubringen, dann hätten sich sehr leicht alle Mühen als vergebens erweisen können.«
Der König lehnte sich auf dem Stuhl langsam wieder zurück. »Nun, es vermag nicht zu überraschen, dass die Stadtwache eine unruhige Nacht hatte. Was waren das für Papiere, die Ihr
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