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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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versicherte ihm Maianthe. Sie sprang auf, zögerte dann jedoch. »Ich weiß, dass Ihr erst kürzlich aus der Trance des Rechtskundigen erwacht seid. Natürlich müsst Ihr Euch ausruhen. Ich verstehe es gut, wenn Ihr Eure Gabe fürs Erste verausgabt habt … Ich hatte nicht die Absicht, Euch darum zu bitten, Texte für mich niederzuschreiben, wenn Ihr noch müde seid oder so …«
    »Keineswegs«, beteuerte Tan in bester Laune. »Eine Aufgabe ohne unmittelbare Dringlichkeit wie diese ist genau das Richtige, um meine Gabe und Erinnerungen und Finger wieder aufzuwärmen.«
    »Falls Ihr sicher seid«, sagte Maianthe. Er sah inzwischen jedoch wieder müde aus, fand sie, und daher fügte sie hinzu: » Ich bin jedoch sicher, dass Ihr ruhen solltet. Ich weise das Küchenpersonal an, eine richtige Mahlzeit heraufzuschicken, ja?« Nur noch Krümel waren auf dem Teller, auf dem die Honigbrötchen gelegen hatten.
    »Eine wunderbare Idee«, pflichtete ihr Tan bei und legte den Kopf ins Kissen zurück.
    »Obwohl ich erst Bertaud suchen sollte«, setzte Maianthe zweifelnd hinzu, sobald sie und Erich wieder draußen auf demFlur waren. Zwei Wachleute standen hier, was sie, wie sie feststellte, nicht überraschte.
    »Geh nur«, stimmte Erich ihr zu. »Ich bin zwar sicher, dass Geroen die Nachricht übermittelt hat – aber ja, geh nur. Es macht mir nichts aus, alleine in der Küche vorbeizusehen.«
    Maianthe grinste und ließ ihn forteilen. Sobald sie jedoch allein war, wurden ihre Schritte langsamer, denn sie stellte etwas Merkwürdiges fest: Wenn sie über das gerade geführte Gespräch nachdachte, war sie nicht mehr ganz so erfreut über Tans Angebot, wie sie eigentlich hätte sein sollen. Wie seltsam es doch war, wenn man jeder noch so kleinen Äußerung eines Menschen ein wenig misstraute! Sie ertappte sich dabei, darüber nachzudenken, ob Tan einen guten Eindruck auf sie machen wollte, und fragte sich gleich anschließend, ob allein diese Frage schon bedeutete, dass er damit keinen Erfolg hatte. Schließlich folgte darauf die Überlegung, ob es anständig war, jemandem zu misstrauen, der doch sein Leben riskiert hatte, um Farabiand wichtige Informationen zu verschaffen. Oder war es fair, sich zu sorgen, ob Tan vollkommen ehrlich zu ihr war? Schließlich wusste sie doch niemals wirklich, ob irgendjemand das war. Natürlich abgesehen von ihrem Vetter.
    Sie ging wieder schneller, als sie auf einmal das starke Bedürfnis verspürte, mit Bertaud zu reden. Sie wollte ihn fragen, ob er Tan mochte, ob er der Meinung war, dass er ihn mögen sollte, ob er ihm traute … War es eigentlich möglich, jemanden zu mögen, dem man nicht traute? War es schicklich , wenn man sich gestattete, jemanden zu mögen, dem man nicht traute?
    Obwohl das große Haus kaum dazu entworfen war, seinen Schatten auf die Stadt zu werfen, ragten doch einige Teile recht hoch auf, und außerdem stand das ganze Haus auf einem Hügel – keinem besonders hohen, aber doch dem höchsten, denTiefenau zu bieten hatte. Das Sonnengemach lag beinahe so hoch wie das Turmzimmer, stellte jedoch in jeder anderen Hinsicht das genaue Gegenstück zu diesem fensterlosen Raum dar, denn es war niedrig und schmal und besaß fast durchgehend Fenster. Im Hochsommer war es viel zu heiß für irgendjemanden außer einer besonders entschlossenen Katze. Im Winter und zu Beginn des Frühlings bot es hingegen beinahe ideale Bedingungen, besonders bei Sonnenuntergang, da fast alle Fenster nach Westen blickten. Von hier aus sah man über die Dächer von Tiefenau hinweg auf das leuchtende Band des Flusses, wo die Brücke in einem zarten und filigranen Bogen hinüber nach Linularinum führte. Im Norden zeichnete sich das Sumpfland in einem dunklen Smaragdton ab, der hier und da – wo das Sonnenlicht durch die dichten Wipfel auf die unbewegten Wasserflächen darunter fiel – vom Schimmer diamantheller Klarheit durchsetzt war. An klaren Tagen hatte man im Süden den Blick auf das grenzenlose Meer frei, das trübe und undurchsichtig an der Flussmündung des Sierhanan war, weiter draußen jedoch im klaren Saphirblau leuchtete.
    Maianthe hatte erwartet, Bertaud in Gesellschaft von König Iaor und vielleicht eines halben Dutzends Dienstboten anzutreffen, aber ihr Vetter hielt sich ganz allein hier auf. Er saß auf einem hochlehnigen Stuhl dicht am Fenster. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf seinen Knien, doch er las nicht darin. Er starrte über die Stadt hinweg – über ihre Grenzen hinaus zu

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