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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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…«
    »Oh, ich weiß!«, rief Maianthe aus und wurde dann rot, weil sie ihn unterbrochen hatte. Aber Tan zog nur neugierig eine Braue hoch, und so fuhr sie fort: »Ich denke, auf beiden Seiten des Flusses liest jeder die romantischen Epen Linularinums. Alle Mädchen im großen Haus lesen sie … Ich habe sie auch gelesen. So viel wir davon kriegen können, meine ich. Sie sind wunderbar unterhaltsam.«
    Erich verdrehte die Augen, und Tan grinste, bevor er erklärte: »Auch alle Mädchen in Teramodian lesen sie – ob von hoher oder niedriger Geburt, ob Hofdamen oder Kaufmannstöchter. Ihre Mütter tun so, als ob es ihnen gleichgültig wäre, aber mir ist aufgefallen, dass selbst recht alte Matronen auch nur den kleinsten Fehler bei der Wiedergabe solcher Texte korrigieren, sogar bei den neuesten Epen.«
    Und Tan hatte das sicherlich überprüft, wie Maianthe vermutete, entweder um sich zu amüsieren oder aus Gewohnheit. Sie wusste nicht, ob sie das unterhaltsam oder ein bisschen furchterregend fand.
    »Aber jeder in Linularinum wird über die populären Epen hinausgehen. Besonders bei Hofe zitiert man lieber etwas Blumiges und Undurchsichtiges – besonders etwas Undurchsichtiges –, als sich klar und deutlich auszudrücken.«
    »Oh.« Maianthe versuchte, sich das vorzustellen.
    »Es stimmt, dass sie Geheimniskrämer sind und sich gern gerissen geben. Aber in jedem zweiten Fall, bei dem sie sich um etwas herumdrücken und jemanden auszumanövrieren versuchen, geht es im Grunde darum, einem Freund einen Gefallen zu tun. Man überrascht dort gern andere Leute, und man prahlt nicht darüber, wenn man großzügig war.«
    Er brachte sie beinahe dazu, Heimlichkeit zu bewundern, obwohl ihr diese zuvor nie als bewundernswerte Eigenschaft erschienen war. »Sind sie also netter und großzügiger als wir?«
    »Oh … nein, das denke ich nicht. Aber viel weniger direkt in Fragen von Freundschaft und Feindschaft. Es stimmt, was man sagt, dass in Linularinum niemand lächelt, ohne sich vorher auszurechnen, in welche Richtung sich die Waage des Schicksals neigt. Doch es stimmt auch – und das ist ein Linulariner Sprichwort –, dass selbst beim höflichsten Lächeln noch Zähne gezeigt werden. Wenn dich jemand anlächelt, weist das noch lange nicht darauf hin, dass er dein Freund ist.«
    »Das klingt danach, als unterschieden sie sich stark von uns«, sagte Maianthe skeptisch. Sie fragte sich, ob das Sprichwort auch wirklich stimmte. Obwohl sie es schon gehört hatte.
    »In mancherlei Hinsicht. Und in anderer Hinsicht, die womöglich bedeutsamer ist, sind sie nicht verschieden.«
    Maianthe nickte. Sie war jetzt noch mehr davon überzeugt,dass Tan Linularinum geliebt hatte. Sie suchte nach Worten, die sein Gefühl von Verlust vielleicht minderten, fand aber keine. Vermutlich wäre einer Linulariner Frau etwas Subtiles und Undurchsichtiges und etwas – wie hatte er es ausgedrückt? – Blumiges eingefallen. Etwas Subtiles und Undurchsichtiges und Blumiges, wodurch er sich besser fühlte. Sie schien aber nicht so klug wie eine Linulariner Frau zu sein. Sie sagte nur etwas, das zwar stimmte, aber weder subtil noch klug war: »Euer Verlust tut mir leid. Ich vermute nicht, dass Ihr jetzt noch nach Teramodian zurückkehren könnt.«
    Tan dachte einen Augenblick nach, bevor er erklärte: »Letztlich musste es so kommen. Dass es genau jener Tag war, als alle Einzelteile unvermittelt an die rechte Stelle rückten … Nun, die Jahre rinnen einem Menschen durch die Finger und schneiden uns bis auf die Knochen, wenn wir sie aufzuhalten versuchen.«
    Maianthe konnte sich nicht vorstellen, dass sie die Vergangenheit festhalten wollte. Dann fiel ihr Tef ein, und sie verstand schließlich doch genau, was Tan meinte. Auch Erich nickte.
    Tan beendete mit Bedacht den Augenblick des Schweigens und bat Erich: »Nun erzählt mir doch, wie es zu dem Glücksfall kam, dass ich Iaor hier schon vorfand.«
    Erich zuckte die Achseln. »Seine Majestät!«, korrigierte er ihn mit Nachdruck. »Seine Majestät nimmt das eigene Land gern in Augenschein. Und verlässt gerne die kalten Höhen und reist ins Delta hinab, ehe die Hitze des Sommers anbricht.«
    »Überaus vernünftig«, brummte Tan und zuckte mit einer Augenbraue.
    »Das denke ich auch stets«, pflichtete Erich ihm grinsend bei. »Wir jagen dem Frühling hinterher, und wenn wir schließlich Tiearanan erreichen, stellen wir fest, dass sich das Eis aus dem Gebirge zurückgezogen hat und die

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