DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Stadt im Osten zu verlassen versuchen, den sie besser aufhielten. Ihr ging sogar der Gedanke durch den Kopf, dass sie Tan womöglichschon gefangen hatten … Aber nein. Sie holte tief Luft und ließ sie langsam wieder heraus. Tan war, das wusste sie, schon ein gutes Stück entfernt und weit im Osten. Wenn diese Linulariner Kompanie nach Osten geschickt worden war, um ihn aufzuhalten, hatte sie ihre Stellung zu spät erreicht.
Jedoch nicht zu spät, um sie selbst aufzuhalten.
Der Dienstälteste unter den Wachsoldaten fasste sie erneut am Arm und deutete mit dem Kopf nach rechts. Hier entlang. Maianthe folgte ihm durch eine schmale Gasse, bis er vor einer Tür stehen blieb. Sie war verschlossen, und niemand reagierte, als der Wachsoldat vorsichtig anklopfte; aber die Tür lag in einer schattigen Vertiefung und bot zumindest ein wenig Schutz.
»Wahrscheinlich laufen sie vorbei«, flüsterte der Wachmann. »Wahrscheinlich suchen sie nicht allzu genau – gerade genug, um sicherzugehen, dass keine größere Anzahl Milizionäre oder Wachmänner hier lauern, die ihnen nachlaufen und ihnen in den Rücken fallen könnten. Andererseits sind wir erkennbar Wachleute und Ihr erkennbar eine Edeldame, und ich weiß nicht, was sie tun, sollten sie uns entdecken.«
Vermutlich glaubte er, dass die Linulariner Soldaten Maianthe als Geisel nehmen könnten. Aber Maianthe dachte eher daran, dass einer aus dieser Kompanie sie vielleicht als Retterin Tans wiedererkannte. Sie hatte ein lebhaftes, scheußliches Bild vor Augen, wie sie direkt Tans speziellem Feind Istierinan gegenüberstand. Er würde … Wenn er sie erwischte, würde er … Sie hatte keine Vorstellung von dem, was er vielleicht tat, und sie wollte es auch gar nicht herausfinden.
Der Wachmann musste etwas von diesen Gedanken in ihrem Gesicht gelesen haben, denn seine Miene wurde, so weit dies überhaupt möglich war, noch grimmiger. Dann befahl er seinen beiden jüngeren Kameraden: »Ihr beiden, ihr lenkt sie ab, wenn sie hier vorbeikommen! Meine Dame, falls Ihr bitte mitmir kommen wollt.« Er führte Maianthe tiefer in die Gasse hinein. »Wir erreichen gleich eine Nebenstraße«, murmelte er ihr zu. »Wir umgehen die Linulariner im Dunkeln. Selbst wenn sie uns entdecken, werden sie nicht zu genau hinsehen. Ein Mann und eine Frau, die aus der Stadt fliehen; das erweckt niemandes Aufmerksamkeit. Hier, meine Dame, achtet darauf, wohin Ihr den Fuß setzt.«
Maianthe war weit darüber hinaus, sich um ein bisschen Matsch zu sorgen. Die Straße war zu schmal, als dass das Mondlicht sie nennenswert hätte erhellen können; und es war zu dunkel, um auch nur die Pflastersteine auszumachen. Es war sogar so finster, dass sie beide ständig in Gefahr schwebten, direkt gegen eine unvermutete Wand zu rennen. Maianthe hörte die Schritte von Soldaten, die in die Stadt eindrangen, oder glaubte sie zu hören. Diese Geräusche hallten auf den engen Straßen seltsam verändert wider, sodass man nur schwer feststellen konnte, aus welcher Richtung und über welche Distanz sie kamen. Doch Maianthe war sicher, dass es sich um Soldaten handelte. Stiefel zum größten Teil und die nicht bestimmbaren Geräusche von Männern, die sich in einer Formation bewegten, bisweilen aber auch das Trappeln beschlagener Hufe. Das war gewagt, aber andererseits hatten die Linulariner womöglich Leute dabei, die mit Pferden sprechen konnten. Diese Gabe traf man nicht nur bei den Menschen Farabiands an – ebenso wenig, wie man ausschließlich unter dem Volk Linularinums Menschen mit glatten hellbraunen Haaren fand. Die Geräusche von Pferden waren für Maianthe jedoch ein Anlass, sich umzudrehen und nachzusehen, wobei sie sich wünschte, sie hätte eine Verbundenheit zu Pferden und könnte eines der Tiere von diesen Soldaten weg- und zu sich herbeirufen.
»Herrin!«, flüsterte der Wachsoldat, als er bemerkte, dass Maianthe stehen geblieben war. Auch er war in der Dunkelheit beinahe nicht zu sehen.
Maianthe tat einen Schritt nach vorn.
Licht erstrahlte hinter dem Wachmann: Lampen, die an hohen Stangen getragen wurden, damit ihr Schein einen größeren Umkreis um die näher kommenden Soldaten erhellte – eine weitere Kompanie oder ein Teil derselben, aber so oder so gänzlich unerwartet. Der Wachmann warf sich herum und griff nach dem Schwert, ließ die Hand aber wieder fallen, da es viel zu viele Soldaten waren, um gegen sie zu kämpfen. Dann jedoch zog er die Waffe trotzdem und baute sich mitten in
Weitere Kostenlose Bücher