Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
wieder nach London, wo fast sofort Gebärmutterhals krebs bei ihr diagnostiziert wurde. Der Arzt sagte, sie würde eine Chemotherapie und vielleicht eine Operation brauchen. Stattdes sen gab sie das Heroin völlig auf und begann ein Intensivpro gramm mit Heilkräutern, Diät, alternativen Therapien und Medi tation. Als sie sechs Monate später wieder zum Arzt ging, stand er vor einem Rätsel. Der Krebs war völlig verschwunden.
Sie traf Peter, den Kampfsportlehrer, und half ihm, seine Schule aufzubauen. Sie machte sich mit ihrem Charme und ihrem leb haften Temperament nützlich, machte Werbung, hieß Neuein steiger Willkommen und beantwortete endlose Telefonanfragen. Peter benutzte sie hingegen als Crash-Test-Dummy, indem er sie über Holzböden unterschiedlichster Gemeindezentren warf, um seinen Gruppen die Manöver zu demonstrieren. Im Sommer schleppte er sie auf alle möglichen Berge und Gletscher. Im Win ter ging er mit ihr in Schottland klettern. Nun war sie nicht mehr das „Junkie-Girl“, sondern die „Karate-Frau“. Nachdem sie sechs Jahre lang sechs Stunden täglich trainiert hatte, waren ihre Bewe gungen stark und anmutig, und sie leitete selbständig Gruppen kurse und -seminare.
Peter hatte einen verschworenen kleinen Kreis von Anhängern um sich geschart. Sie trainierten gemeinsam, lebten gemeinsam, gingen gemeinsam aus – und verbrachten ihre Ferien miteinan der in dem Zentrum in Wales, das Peter und Melissa aufgebaut hatten. Es war ein typischer kleiner Vorstadt-Kult. Diese Gruppe war Melissas einziger Kontakt gewesen, seit sie aus Hong Kong zurückgekehrt war. Sie kannte sonst gar nichts. Sie kannte sonst niemanden. „Zu diesem Zeitpunkt“, sagte sie, „entdeckte ich, dass Peter mei ne Freundinnen bumste.“
Aber Peter hatte seinen eigenen unverwechselbaren Stil ent wickelt. Es gab sonst keine so inspirierenden, dynamischen Leh rer. Wenn sie Peter verließ, gab sie alles auf: Ihr Training, ihre Freunde, ihr Zuhause.
Es war eine schwere Entscheidung.
Und ausgerechnet sie dachte, ich wäre etwas merkwürdig. „Immerhin habe ich in meinem Leben schon etwas gemacht“, sagte sie. „Du bist immer nur mit deinen Büchern beschäftigt.“ Melissa sagte mir immer wieder, dass wir völlig inkompatibel wären. „Ich bin ein Löwe und du bist ein Zwilling. Du bist ein Hase, was OK ist. Aber Du hast nur Luft vorzuweisen, nichts als Denken und Worte ohne Gefühle. In chinesischer Medizin bist du negati ve Energie, was bedeutet, dass du unentschlossen bist und einem die Kraft aussaugst, wie ein Waschlappen. Dein Geburtstag ist au ßerdem am neunzehnten – neun plus eins bedeutet, dass du eine Nummer eins bist.“
„Du bist voller Nummer zwei“, entgegnete ich, nicht ganz glücklich damit, ein Waschlappen genannt zu werden. Melissa glaubte an Horoskope, chinesische Astrologie, Zahlenmystik, Ta rot, I-Ching und Feng Shui. „Aber“, behauptete sie, „ich kann dieses ‚finde die Göttin in dir‘ New Age Zeug nicht ausstehen. Einmal ging ich zu einem Hexen zirkel, irgendwo auf den South Downs. Diese Frauen redeten alle über die Natur und die Erde. Also schlug ich vor, in den Wald zu gehen. Sie sahen mich angsterfüllt an. Eine von ihnen sagte: ‚Aber wir können nicht rausgehen. Es ist dunkel!‘ Alles, was sie tun wollten, war Kiffen und sich gegenseitig an die Titten grapschen. Naja, sie hatten auch schöne Brüste. Jedenfalls, soviel zur Natur verehrung. Obwohl, wenn du es wissen willst, mein Göttinnen- Archetyp ist Aphrodite, die für die Sinnlichkeit steht.“
„Es ist schon merkwürdig“, sagte sie kurz vor unserer Abreise. „Ich hatte vor rund 18 Monaten mein Horoskop machen lassen, nachdem ich mich von Peter getrennt und bevor ich dich kennen gelernt hatte. Die Frau, die es erstellte, sagte mir, dass ich verrei sen würde. Damals hatte ich nicht erwartet, dass wir irgendwohin gehen würden, aber wir sind schon in Israel, Ägypten, Frankreich und Spanien gewesen, und jetzt reisen wir durch einen Haufen südamerikanische Länder.“ „Sehr interessant“, sagte ich ohne zuzuhören. Ich glaubte nicht an Horoskope, außer als Möglichkeit, Mädchen anzumachen. „Was hat sie dir sonst noch gesagt?“ „Jemand wird sterben, der mir sehr nahe steht“, entgegnete sie.
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Zwei fette Damen
Mit ihrer olivbraunen Haut und ihren langen dunklen Haa ren hätte Melissa selbst eine Südamerikanerin
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