Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
übernimm du das Kommando. Sieh doch zu, wie du uns auf diesen Bus bekommst.“ Ich setzte mich neben Mark, der schon wieder schlief, und holte ein Buch heraus. Melissa sah den Verkehr an. Ich wusste ganz genau, dass sie keine Ahnung hatte, welchen Bus wir brauchten. Oder wo wir überhaupt hinfuhren. Melissa wusste das auch, aber sie wollte es nicht zugeben. Also stand sie am Straßenrand und sah den vorbeifahrenden Bussen zu. Dann, nach einer weiteren Stunde ohne Busse, sah ich drei Busse, die sich auf einmal näherten und alle nach Plaza 16 Julio fuhren. Mir waren die Hände gebunden. Ich hatte meinen Posten abgegeben. Aber … ich konnte sehen, dass Melissa die Busse nicht anhalten würde. Ich wusste, dass ein erwachsener Mensch an meiner Stelle einen davon herbeiwinken würde.
Aber …
Die Busse fuhren vorbei. Melissa hörte auf, so zu tun, als ob sie irgendeine Ahnung hätte, was sie tat, und setzte sich mit einem Schnaufen auf den Gehsteig neben Mark, der inzwischen laut schnarchte und seinen Clint-Eastwood-Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Wir drei saßen da ohne zu reden. Nach einer weiteren Stunde fragte ich: „Wie läuft’s, Melissa?“ „Leck mich“, entgegnete sie. Sie nahm ihren Rucksack und marschierte davon. Ich sah ihr nach. Einen Augenblick lang erwog ich, Melissa und Mark aufzugeben. Ich rüttelte Mark wach. „Zurück zum Hotel“, sagte ich. „Wie ich sehe, lassen dich sogar deine Fans im Stich“, spottete er. Mark und ich checkten wieder im Torino ein. Das elegante Cafe im Hof hatte sich in eine Wahlkampfveranstaltung verwandelt. Ein gewaltiges Banner von einem Latino-Politiker hing hinter dem Podium. Die Stuhlreihen füllten sich mit Campesinos .
„Ich suche Jenny“, sagte Mark. Eine Zeit lang sah ich der Wahlkampfveranstaltung zu und fragte mich, ob ich Melissa jemals wiedersehen würde. Der Politiker und die Campesinos gingen nach Hause und wurden durch eine große „High Society“ Party ersetzt. Der Hof war erstaunlich vielseitig. Zu Abbas „Dancing Queen“ schlief ich ein. Noch mehr schwedischer Pop-Müll.
Ein Hämmern an der Tür weckte mich. Es war 2 Uhr morgens. Melissa stand draußen. „Lass mich rein, ja“, sagte sie. Es tat gut, ihre Stimme zu hören. „Leck mich“, sagte ich und tat, als würde ich wieder einschlafen. Vor der Tür verriet ein Sperrfeuer von Beschimpfungen Melissas schottische Wurzeln. Ich hörte, wie sie den Korridor entlang davon stapfte.
Am nächsten Morgen klopfte Melissa wieder. Diesmal ließ ich sie herein. Sie war gut gelaunt. Sie sagte mir, dass sie und ein paar andere Rucksacktouristen die Party vom Balkon aus beobachtet und beschlossen hätten, ohne Einladung einfach mitzumachen. Es war eine Geburtstagsparty für ein reiches Latino-Mädchen gewesen: Es hatte Essen und Champagner gegeben, und alle Mädchen hatten Ballkleider und Diamanten getragen. Die Teenager (die wahrscheinlich am liebsten selbst Europäer gewesen wären) freuten sich, dass ein paar echte Westler dazukamen – auch wenn sie schmutzige Jeans und Wanderschuhe trugen. Melissa hatte die ganze Nacht zu Abba getanzt.
Gegen 7 Uhr kehrte Mark zurück. „Sollen wir aufbrechen?“, fragte er beiläufig. Wir versuchten es nochmals. Wir frühstückten auf dem Markt bei der Kirche des Heiligen Franziskus und zwängten uns durch enge Reihen überfüllter Marktstände, um noch einen freien Platz zu finden.
Untersetzte, kräftige Aymara-Mädchen mit langem, schwarzem, geflochtenem Haar und weißen Schürzen standen Schulter an Schulter neben Stapeln von Brathähnchen und dampfenden Suppenkesseln.
„Joven, pase no mas“ , schrien sie vor plärrenden Radios, „gehen sie nicht weiter“. Um die Ecke lugten Händler an Obstsaft-Ständen durch winzige Löcher in Stapeln von Tropenfrüchten. Ein Mädchen war so motiviert, ein Geschäft zu machen, dass sie heraus eilte, um den Mann vor uns an der Jacke zu packen und ihn zu ihrem Stand zu zerren. Schließlich zog sie ihm direkt die Jacke vom Körper. „Versuchen Sie etwa, mich auszuziehen?“, protestierte er. Sie ließ ihn los und packte uns stattdessen. Sie servierte uns einen Drink namens Supervitamino . Er bestand aus rund acht Sorten Obst, Karotten, Milch, Schokolade, Erdnüssen und Malzbier. Die Zutaten wurden in flüssiger Form zusammengemischt und in einem großen Glas serviert, das die Form eines weiblichen Torsos hatte. Diesmal kam der Bus nach 16 Julio schon nach wenigen Minuten. Leider war heute Sonntag.
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