Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
z.T. auch an Melissa lag. Ich spornte Melissa an, mehr nachzudenken, und Melissa spornte mich an, mehr auf meine Gefühle zu hören. Aber die „Traveller“-Persönlichkeit gestattete – und forderte sogar – definitiv etwas mehr Weichheit als die „Stubenhocker“-Persön lichkeit. In einem Londoner Vorort wurde ein Kerl schräg angese hen und hatte das Sofa bald für sich selbst, wenn er über „Gefühle“ redete. Aber wenn man ein cooler Beatnick-Traveller war, war ein Hauch schroffer Empfindsamkeit sogar ein Muss – oder sogar se xy. Hier draußen konnte man sogar zugeben, dass man Gedichte mochte. Mark gewöhnte sich allmählich an diese Rolle.
Vielleicht war es aber auch diese „Saturn-Kehrt-Zurück“-Sa che, von der Melissa geredet hatte – eine neue Ebene der Reife. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich Mark über Nacht in ei ne Art tränenüberströmten Clown verwandeln würde, aber (wa rum auch immer) er schien in einer entspannteren und versöhn licheren Stimmung zu sein. Vielleicht würden wir eine Zeit lang auf dem Strand chillen und unsere Meinungsverschiedenheiten ausbügeln. Unsere Beziehung war tief genug, um ein paar Monate Streit aufzuwiegen; und ich wollte immer noch mit Mark gemein sam reisen – wegen seiner Vitalität, seinem Humor und seinen Einsichten, die aus völlig unerwarteten Richtungen kamen.
Vielleicht war der San Pedro Trip ein neuer Anfang: Der ei gentliche Beginn unserer gemeinsamen Reisen. Ich spürte einen Puls von Optimismus. Ein neuer Anfang. Unsere Beziehung wür de sich besser entwickeln. „Übrigens, du musst dieses Buch lesen“, unterbrach Mark mei ne Gedanken.
Campbell hat es. Es heißt Fishboy . Es geht um einen Jungen, der ertrinkt und unter dem Meer lebt. Es ist wie ein verlängertes Gedicht über das Meer. Du musst es dir von Campbell besorgen und es lesen.“
✷ ✷ ✷
Kein Winken …
Wir gingen zum Lagerplatz zurück, wo Melissa Wasser koch te. Helena und ein paar deutsche Mädchen waren da und unter hielten sich mit Melissa.
„Ich geh‘ mal schnell ins Wasser, um mich zu erfrischen“, sagte Mark. Ich wusste, dass er eins von den deutschen Mädchen moch te und sie beeindrucken wollte. Er zog sein T-Shirt aus, streckte seinen Körper und marschierte mit forschen Schritten zum Was ser hinunter.
„Sogar am Strand marschiert Mark mit forschen Schritten he rum“, bemerkte Melissa. Wir alle lachten. Ich legte mich in der Hängematte zurück, lauschte den Palmblättern, die in der Brise gegeneinander raschelten, und hörte der Unterhaltung der Mäd chen zu. Melissa erklärte gerade die Bedeutung des Chi. Allmäh lich kamen ein paar Kolumbianer an (der Park war wegen der Osterferien jetzt wieder geöffnet); ein paar von ihnen spielten am Strand Frisbee.
„Was macht der Tee?“, fragte ich Melissa. Aber Helena unter brach mich.
„Da draußen winkt jemand.“ Wir sahen aufs Meer hinaus. Eine Handvoll Leute spielten in der Brandung. Dann, direkt hinter ihnen, sah ich jemanden, der mit den Armen winkte. Nicht verzweifelt. Es war nur ein ruhiges Signal. Wenn er rief, konnten wir ihn durch den Lärm der Bran dung nicht hören.
Melissa sprang auf. „Hey, das ist Mark!“ Er war rund 20 Meter weit draußen, also rund 40 Meter von uns entfernt. Aus dieser Ent fernung konnte ich sein Gesicht nicht deutlich sehen. Ich denke, er verhielt sich, wie man sich verhalten sollte, wenn man in einer reißenden Strömung gefangen ist – nämlich ruhig bleiben, auf sich aufmerksam machen und nicht versuchen, gegen die Strömung anzuschwimmen. Stattdessen sollte man sich hinaus treiben lassen und dann seitwärts aus der Strömung heraus schwimmen.
Aber das war nicht nur eine starke Strömung.
Wo er schwamm, lagen Haufen von Findlingen unter der Ober fläche, die eine tödliche Turbulenz verursachten: Sie zog einen hinunter – nicht hinaus.
Wir rannten zum Wasser hinunter. Aber was konnten wir tun? Sollten wir hinausschwimmen und versuchen, ihn zu retten? Ich erinnerte mich an das kolumbianische Paar auf Hochzeitsreise so wie an Carlos, der sagte, er wäre selbst fast ertrunken – und ich hat te ihn immer für einen Meisterschwimmer gehalten, da er täglich mit seiner Harpune fischen ging. Ich dachte an meine Unterhaltung mit Mark, als ich sagte, wenn ein guter Schwimmer nicht gegen die Strömung ankam, wie konnte ein anderer ihn herausziehen? Ich sah mich wild nach etwas um – irgendetwas, was sich als Lösung anbie ten mochte. Ich vermute, dass alle
Weitere Kostenlose Bücher