Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
lächerlichen Klagen. Stattdessen motzte Mark nun Melissa an. Ich kauerte ein paar Meter weiter auf einem Stein und hörte zu, wie seine Worte zusammenhangslos durch den Nebel drifteten.
„… wollte meine Schijacke mitbringen … sagte, ich sollte sie nicht mitbringen … würde es nicht so verdammt kalt sein … zwei gegen einen … immer werde ich überstimmt … nicht mal richtig streiten … Party-Monster … hat mir extra gesagt, dass ich meine Schijacke nicht mitnehmen sol te … er steht nur auf Felsen … Ich muss eben unter die Leute … kein Spaß … wessen Idee war das überhaupt? Meine verdammte Schijacke … zur Abwechslung mal machen, was ich will …“
Es war spät und wurde kälter; wir mussten unsere Zelte aufschlagen. Neben dem See war die Hütte des Kraftwerksaufsehers. Wir fragten ihn, ob wir die Nacht in einem der verlassenen Räume verbringen konnten, die gegenüber von seinem Haus in einer Reihe standen und eine kleine Terrasse bildeten. Er sagte, wir könnten. Dann sagte, er dass er hier mit seiner Frau und seinen Kindern leben würde. Ich fragte ihn, ob er gern hier leben würde, da der Ort wenig einladend schien. Er sagte, das täte er. Anscheinend hatte er kein großes Bedürfnis zu reden. Vielleicht mochte er vor allem deshalb diesen einsamen Ort.
Wir verbrachten die Nacht in der Baracke. Melissa kochte etwas Brühe; dann krochen wir in unsere Schlafsäcke und versuchten zu schlafen. Mark wickelte sich in seine Aluminium-Weltraum-Decke und den Wollponcho, den er in Copacabana gekauft hatte, und fror fast zu Tode.
Am nächsten Morgen hatte er eine Entscheidung getroffen. „Ich fahre zurück nach La Paz“, sagte er. „Ich hinterlasse eine Nachricht im Torino, damit ihr wisst, wo ich bin.“ „Gut“, sagte ich. „Gut“, sagte er. Er nahm seinen Rucksack und marschierte den Weg zurück, den wir gekommen waren. Wir sahen ihm nach, wie er in seinem Poncho und mit seinem Clint-Eastwood-Hut auf dem Kopf in der Ferne verschwand. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Melissa. „Ich würde sagen, wir wandern“, antwortete ich.
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Der König der Welt
Mark verschwand den Pfad entlang. Die Wolken waren verschwunden; es war ein sonniger Morgen. Über dem See ragte das gewaltige weiße Massiv eines Berges, der Huayna Potosí hieß. Die Gletscher reichten wie Eisfinger bis an das Seeufer hinab. Hinter uns war ein weiterer Gipfel – kleiner, aber ebenso schneebedeckt. Wenn man am Ende des Sees über den Damm hinaus sah, fiel das Tal zwischen den beiden Bergen steil ab. Weit unten schlängelte sich ein Fluss wie ein silberner Faden hindurch.
Melissa sah mich an und lachte. „Total abgefahren!“, grinste sie. Nun, da wir von Marks negativer Energie befreit waren, konnten wir unseren Geist und Körper in der dünnen, klaren Gebirgsluft reinigen. Wir überquerten den ersten Pass und verbrachten den größten Teil des Tages damit, an einer Reihe von aus Gletschern gespeisten Seen entlang zu wandern, wobei einmal mehr der Nebel um uns waberte.
Am mittleren Nachmittag erreichten wir den zweiten Pass, den höchsten Punkt unserer Tour. Ein steiler Geröllhang führte zu einem niedrigen Sattel auf einem Grat, der um den letzten See herumlief. Bei über 5000 Metern war jeder Schritt eine Qual. Alle zehn Schritte musste ich stehen bleiben, um Luft zu schnappen. Als wir aber den Pass erreichten, fühlte ich mich wie der König der Welt. Um uns herum lag die stille alpine Welt der Hochanden: Graue Felsen, weiße Schneefelder und stille blaue Seen. Vor uns lagen bewaldete Täler, die schließlich in den gewaltigen Dschungel des Amazonasgebietes mündeten. Es war ein gewaltiges Landschaftsbild. Wir zelteten unmittelbar unter dem Pass. Als die Sonne unterging, fiel die Temperatur plötzlich sehr stark ab. Wir zogen für die Nacht alle unsere Kleider an und fanden am nächsten Morgen unser Zelt eisbedeckt vor. Zwei riesige Vögel segelten über uns: Adler, Geier oder vielleicht sogar Kondore.
Von nun an ging es buchstäblich nur noch bergab. Über grasbewachsene Weiden, auf denen Wildpferde uns misstrauisch beäugten, und an einem schäumenden weißen Bach entlang in ein Tal hinunter. Je tiefer wir kamen, desto wärmer wurde es. Da wir in den zwei Tagen, seit wir uns von Mark getrennt hatten, niemanden gesehen hatten, hielt es Melissa für unbedenklich, oben ohne zu laufen. Plötzlich liefen wir einem einsamen Schäfer über den Weg. Er schien ebenso überrascht zu sein, uns zu sehen, wie
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