Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
vorbeifuhren. Eine Stunde verging. Melissa langweilte sich und ging weg. Mark lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand und schlief ein. Wieder einmal war es an mir, die Probleme zu lösen. Busse fuhren vorbei, die Leute hingen aus Türen und Fenstern. Eine Stunde verging, dann sah ich ihn. „Julio“, hatte jemand auf einen Pappkarton-Fetzen hinter der Windschutzscheibe gekritzelt. Ich rief Mark, der grunzte und langsam aufstand. Und Melissa … wo war Melissa? Der Bus hielt. „ Si, si “, sagte der Junge, der die Fahrkarten verkaufte. „Das ist der 16 Julio Bus.“
Ich sah Melissa, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Schaufenster betrachtete. „Schnell, schnell, Señor, steigen Sie ein“, drängte der Junge. Ich rief Melissa, aber sie war zu weit weg, um mich zu hören. Der Bus fuhr ab. Mark grinste mich an und schlief wieder ein. Als Melissa zurückkam, ließ ich meinen Frust an ihr aus. „Melissa, du dumme Kuh, wie sollen wir einen Bus erwischen, wenn du 500 Meter weit weg bist?“ Ich fühlte mich wie eine Mama, die zwei Kinder zum Einkaufen mitschleppt.
Melissa richtete sich an mich. „Du“, schrie sie, „bist ein Kontroll-Freak. Weiß du das? Alles muss sich nach dir richten. Du denkst immer, dass du das Sagen hast. Leck mich.“ Melissa ließ sich nicht gern anmotzen. „Du mich auch“, entgegnete ich. „OK, Melissa, übernimm du das Kommando. Sieh doch zu, wie du uns auf diesen Bus bekommst.“ Ich setzte mich neben Mark, der schon wieder schlief, und holte ein Buch heraus. Melissa sah den Verkehr an. Ich wusste ganz genau, dass sie keine Ahnung hatte, welchen Bus wir brauchten. Oder wo wir überhaupt hinfuhren. Melissa wusste das auch, aber sie wollte es nicht zugeben. Also stand sie am Straßenrand und sah den vorbeifahrenden Bussen zu. Dann, nach einer weiteren Stunde ohne Busse, sah ich drei Busse, die sich auf einmal näherten und alle nach Plaza 16 Julio fuhren. Mir waren die Hände gebunden. Ich hatte meinen Posten abgegeben. Aber … ich konnte sehen, dass Melissa die Busse nicht anhalten würde. Ich wusste, dass ein erwachsener Mensch an meiner Stelle einen davon herbeiwinken würde.
Aber …
Die Busse fuhren vorbei. Melissa hörte auf, so zu tun, als ob sie irgendeine Ahnung hätte, was sie tat, und setzte sich mit einem Schnaufen auf den Gehsteig neben Mark, der inzwischen laut schnarchte und seinen Clint-Eastwood-Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Wir drei saßen da ohne zu reden. Nach einer weiteren Stunde fragte ich: „Wie läuft’s, Melissa?“ „Leck mich“, entgegnete sie. Sie nahm ihren Rucksack und marschierte davon. Ich sah ihr nach. Einen Augenblick lang erwog ich, Melissa und Mark aufzugeben. Ich rüttelte Mark wach. „Zurück zum Hotel“, sagte ich. „Wie ich sehe, lassen dich sogar deine Fans im Stich“, spottete er. Mark und ich checkten wieder im Torino ein. Das elegante Cafe im Hof hatte sich in eine Wahlkampfveranstaltung verwandelt. Ein gewaltiges Banner von einem Latino-Politiker hing hinter dem Podium. Die Stuhlreihen füllten sich mit Campesinos .
„Ich suche Jenny“, sagte Mark. Eine Zeit lang sah ich der Wahlkampfveranstaltung zu und fragte mich, ob ich Melissa jemals wiedersehen würde. Der Politiker und die Campesinos gingen nach Hause und wurden durch eine große „High Society“ Party ersetzt. Der Hof war erstaunlich vielseitig. Zu Abbas „Dancing Queen“ schlief ich ein. Noch mehr schwedischer Pop-Müll.
Ein Hämmern an der Tür weckte mich. Es war 2 Uhr morgens. Melissa stand draußen. „Lass mich rein, ja“, sagte sie. Es tat gut, ihre Stimme zu hören. „Leck mich“, sagte ich und tat, als würde ich wieder einschlafen. Vor der Tür verriet ein Sperrfeuer von Beschimpfungen Melissas schottische Wurzeln. Ich hörte, wie sie den Korridor entlang davon stapfte.
Am nächsten Morgen klopfte Melissa wieder. Diesmal ließ ich sie herein. Sie war gut gelaunt. Sie sagte mir, dass sie und ein paar andere Rucksacktouristen die Party vom Balkon aus beobachtet und beschlossen hätten, ohne Einladung einfach mitzumachen. Es war eine Geburtstagsparty für ein reiches Latino-Mädchen gewesen: Es hatte Essen und Champagner gegeben, und alle Mädchen hatten Ballkleider und Diamanten getragen. Die Teenager (die wahrscheinlich am liebsten selbst Europäer gewesen wären) freuten sich, dass ein paar echte Westler dazukamen – auch wenn sie schmutzige Jeans und Wanderschuhe trugen. Melissa hatte die ganze Nacht zu Abba getanzt.
Gegen
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