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Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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sie hatte gedacht, weil sie das eine sehr, sehr gut konnte (nämlich, die besten Leute zur selben Zeit am selben Ort zu versammeln), müsste sie auch andere Dinge gut können, zum Beispiel Design. Denn La Doll hatte eine Vision gehabt: große durchscheinende Schalen voller Öl und Wasser unter kleinen, bunt leuchtenden Spotlights, deren Hitze die einander abstoßenden Flüssigkeiten wirbeln und perlen und brodeln lassen würde. Sie stellte sich vor, wie die Leute den Kopf in den Nacken legten, um hochzuschauen, wie verzaubert von den sich verändernden flüssigen Formen. Und sie schauten auf. Sie bestaunten die erleuchteten Schalen, und La Doll sah ihnen dabei von einer hoch oben an der Seite angebrachten Kabine aus zu. Von dort aus wollte sie genießen, was sie erschaffen hatte. Von dort bemerkte sie als Erste, als es auf Mitternacht zuging, dass etwas mit den durchscheinenden Schalen, die Wasser und Öl enthielten, nicht stimmte - sie hingen ein wenig durch, oder nicht? Sie hingen wie Säcke von ihren Ketten und schmolzen, mit anderen Worten. Und dann brachen sie auseinander, lösten sich auf und falteten sich zusammen und fielen herunter und Übergossen die Köpfe aller glamourösen Leute des Landes und aus einigen anderen Ländern dazu mit siedendem Öl. Die Gäste wurden verbrannt, verletzt, ja sogar entstellt, denn tränenförmige Narbenfleckchen auf der Stirn eines Filmstars oder kleine kahle Stellen auf dem Kopf eines Kunsthändlers oder eines Models oder einer ganz allgemein prominenten Person bedeuten eine Entstellung. Aber La Doll, die in sicherer Entfernung von dem brennenden Öl stand, hatte eine Blockade. Sie rief nicht den Rettungsdienst an. Sie sah in ungläubiger Reglosigkeit zu, wie ihre Gäste kreischten und taumelten und sich die Köpfe bedeckten, heiße, triefende Kleidungsstücke vom Leib rissen und über den Boden krochen wie Menschen auf mittelalterlichen Altarbildern, deren irdisches Luxusleben sie zur Hölle verdammt hat.
    Als man La Doll vorwarf, sie habe das absichtlich getan, sie sei eine Sadistin, die begeistert zusah, wie andere litten, war das für sie viel schlimmer, als zuzusehen, wie sich das Öl erbarmungslos über die Köpfe ihrer fünfhundert Gäste ergoss. Währenddessen stand sie unter dem Schutz des Schocks. Aber die Konsequenzen musste sie in wachem Zustand miterleben: Wie sie sie hassten. Wie sie alles versuchten, um sie loszuwerden. Es war, als wäre sie kein Mensch, sondern eine Ratte oder Wanze. Und es war ihnen gelungen. Noch ehe sie ihre sechs Monate wegen fahrlässiger Körperverletzung abgesessen hatte, ehe die Schadensersatzforderungen einliefen, die ihr gesamtes Vermögen portionsweise an ihre Opfer aufteilten (und ihr Vermögen war nie auch nur annähernd so groß gewesen, wie es ausgesehen hatte), war La Doll vom Erdboden verschwunden. Ausgemerzt. Sie verließ das Gefängnis fünfzehn Kilo schwerer und fünfzig Jahre älter, mit wilden grauen Haaren. Niemand erkannte sie, und die Welt, in der sie sich so wohl gefühlt hatte, war zu Staub zerfallen - jetzt hielten sich sogar die Reichen für arm. Nach einigen schadenfrohen Schlagzeilen und Fotos, die ihren Absturz ausschlachteten, wurde sie von allen vergessen.
    Nun konnte Dolly allein über ihre Fehlberechnungen nachdenken - und nicht nur über die offensichtlichen, bei denen es um die Schmelztemperatur von Kunststoff und die angemessene Verteilung von gewichtstragenden Ketten gegangen war. Sie hatte sich schon davor viel gründlicher geirrt, denn sie hatte eine grundlegende Veränderung übersehen - hatte sich ein Event ausgedacht, das an einer längst vergangenen Ära festhielt. Für eine pr-Frau konnte es kein schlimmeres Versagen geben. Sie verdiente es, in Vergessenheit zu geraten.
    Ab und zu ertappte Dolly sich bei der Überlegung, welches Event oder welche Zusammenkunft die neue Welt definieren könnte, in der sie sich nun wiederfand, wie Capotes Party es getan hatte, oder Malcolm Forbes’ siebzigster Geburtstag oder die Party für die Zeitschrift Talk. Sie wusste es einfach nicht, sie hatte ihre Urteilsfähigkeit verloren. Lulu und ihre Generation würden das entscheiden müssen.
     
    Als die Schlagzeilen über General B. einwandfrei milder geworden waren, als sich herausstellte, dass mehrere Zeugen der Anklage nachweislich Geld von der Opposition erhalten hatten, rief Are wieder an. »Der General bezahlt Ihnen jeden Monat eine Summe«, sagte er. »Und das nicht für nur eine Idee.«
    »Es war eine gute

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