Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
Vom Netzwerk:
vorm Ertrinken fühlen musste, wenn er sie neben sich im Bett ansah, ihre drahtigen Arme und ihren weichen, großzügigen Hintern. Dann hatte er sie abermals ein Stück verringert, und wenn er nun Verlangen nach Susan verspürte, dann ging es nicht mehr einher mit der stechenden Furcht, es könnte sowieso niemals befriedigt werden. Dann reduzierte er sie ein weiteres Mal, so dass er bei aufkommendem Verlangen nicht gleich zur Tat schreiten musste. Dann noch ein Stück, bis er es kaum noch verspürte. Sein Verlangen war am Ende so klein, dass Ted es in seinen Schreibtisch oder eine Tasche legen und dann vergessen konnte, und das gab ihm ein Gefühl der Sicherheit und des Erfolgs, als hätte er einen gefährlichen Apparat auseinandergenommen, der sie beide hätte zerschmettern können. Susan war zuerst verblüfft, dann verzweifelt; sie hatte ihn zweimal ins Gesicht geschlagen, sie war in einem Gewitter aus dem Haus gestürzt und hatte in einem Motel übernachtet, sie hatte Ted in schwarzer im Schritt offener Unterhose im Schlafzimmer zu Boden gerungen. Aber irgendwann machte sich bei Susan eine Art Gedächtnisschwund breit, ihr Widerstand und ihre Kränkung lösten sich auf und verwandelten sich in ein ewiges süßliches Strahlen, das etwas Entsetzliches hatte. So entsetzlich musste das Leben sein, vermutete Ted, wenn es nicht durch den Tod geerdet und geformt wurde. Er hatte ihre erbarmungslose Fröhlichkeit zuerst für Spott gehalten, für eine andere Phase ihrer Rebellion, bis ihm dann aufging, dass Susan vergessen hatte, wie es früher zwischen ihnen gewesen war, ehe Ted angefangen hatte, sein Verlangen wegzupacken; sie hatte es vergessen und war glücklich - war niemals unglücklich gewesen -, und obwohl all das seine Bewunderung für die geschmeidige Anpassungsfähigkeit des menschlichen Geistes steigerte, wurde ihm dadurch auch klar, dass seine Frau einer Gehirnwäsche unterzogen worden war. Und zwar von ihm.
    »Schatz«, sagte Susan. »Alfred möchte mit dir sprechen.«
    Ted machte sich gefasst auf seinen launischen, unvorhersehbaren Sohn. »Hallöchen, Alf, wie geht’s denn so.«
    »Dad, nicht diese Stimme.«
    »Was für eine Stimme?«
    »Diese Pseudo->Dad<-Stimme.«
    »Was willst du von mir, Alfred? Können wir ein vernünftiges Gespräch führen?«
    »Wir haben verloren.«
    »Also steht’s jetzt wie viel, fünf zu acht?«
    »Vier zu neun.«
    »Na dann ist ja noch Zeit.«
    »Es ist keine Zeit«, sagte Alfred. »Die Zeit ist um.«
    »Ist deine Mutter noch da?«, fragte Ted mit einem Anflug von Verzweiflung. »Kannst du sie mir noch mal geben?«
    »Miles möchte mit dir reden.«
    Ted sprach mit seinen beiden anderen Söhnen, die weitere Sportergebnisse zu berichten hatten. Er kam sich vor wie ein Buchmacher. Sie betrieben alle vorstellbaren Sportarten und einige, die (für Ted) nicht vorstellbar waren: Fußball, Hockey, Baseball, Lacrosse, Basketball, Football, Fechten, Ringen, Tennis, Skateboarding (kein Sport!), Golf, Tischtennis, Video Voodoo (keinesfalls ein Sport, und Ted weigerte sich, es zu erlauben), Klettern, Inlineskaten, Bungeespringen (Miles, sein Altester, dem Ted eine fröhliche Bereitschaft zur Selbstzerstörung unterstellte), Backgammon (kein Sport!), Volleyball, Wiffleball, Rugby, Cricket (in welchem Land waren sie hier eigentlich?), Squash, Wasserpolo, Ballett (Alfred natürlich) und seit Neuestem Taekwondo. Manchmal hatte Ted den Eindruck, dass seine Söhne nur Sport trieben, um sich seine Anwesenheit am Rand der größtmöglichen Menge von Spielfeldern zu sichern. Pflichtbewusst trat er an und ließ seine Stimme aus Haufen toter Blätter und im scharfen Holzrauch im Herbst, zwischen knallgrünem Klee im Frühling und in den schwülen, von Moskitos gesprenkelten Sommern des Staates New York erschallen.
    Nachdem er mit seiner Frau und seinen Söhnen gesprochen hatte, fühlte sich Ted betrunken und musste dringend das Hotel verlassen, dabei trank er nur selten. Alkohol warf einen Schleier aus Erschöpfung über seinen Kopf und stahl ihm die wenigen kostbaren Stunden - zwei, vielleicht drei nach dem Abendessen mit Susan und den Söhnen -, in denen er über Kunst nachdenken und schreiben konnte. Im Grunde sollte er zu jeder Tageszeit über Kunst nachdenken und schreiben, aber eine Kombination verschiedener Faktoren ließ dieses Denken und Schreiben unnötig werden (er arbeitete an einem drittklassigen College ohne großen Druck zu veröffentlichen) und zugleich unmöglich (er unterrichtete in

Weitere Kostenlose Bücher