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Der große Bio-Schmaeh

Titel: Der große Bio-Schmaeh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens G Arvay
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letzten Jahren auch in der Sprache der Massenmedien durchgesetzt. Biodiversität ist die Diversität, also die Komplexität und Vielfalt, biologischer Systeme bzw. der belebten Welt an sich. Sie drückt sich in Strukturen und Funktionen biologischer Lebensgemeinschaften aus, aber auch in deren Beziehungen zur rein physikalischen Umwelt. Biodiversität kann geografisch begrenzt betrachtet werden, etwa als die Anzahl an Arten, die in einer bestimmten Gegend vorkommen. Sie kann aber auch global als die evolutionäre Vielfalt aller Lebensformen der Erde verstanden werden.
    In den Massenmedien hingegen hat sich eine sehr vereinfachte Vorstellung von Biodiversität durchgesetzt, eben eine mediengerechte: Sie wird dort als Synonym für die quantitative Artenvielfalt verwendet, also für die Artenzahl, welche nur einen Teilaspekt von Biodiversität darstellt. In dieser Form hat sie inzwischen auch schon Einzug in die Welt des Bio-Marketings genommen. »Du, Bauer«, sagt das
Ja!Natürlich
-Schweinderl in einem TV-Werbespot, während es in einer üppig blühenden Blumenwiese Schmetterlinge fängt. Der Bauer, in einem kleinen Beerengärtchen hockend und per Hand Beeren erntend, blickt auf. »Ein ganz ein seltener! Den erwisch ich noch«, ruft das Schweinchen aus. »Und da: ein Schwalbenschwanz. So viele Falter!« – »Das heißt Vielfalt!«, wirft der Bauer ein, der nun plötzlich Gemüse in Kisten sortiert, die vor ihm im grünen Gras liegen. Der Spot endet mit der wohlklingenden Zusage: »Nur, wenn wir der Natur ihre Vielfalt lassen, bekommen wir Vielfalt zurück.« Wie genau
Ja!Natürlich
die Naturvielfalt fördert, verrät der Spot allerdings nicht. Zahlen werden ebenso wenig genannt.
    Auch
Zurück zum Ursprung
ist auf den Biodiversitätszug aufgesprungen. Neben den Angaben zum eingesparten Wasser, das in Wirklichkeit gar nicht eingespart wurde, druckt man nun auch Zahlen zur Biodiversität direkt auf die Verpackungen. Also beispielsweise »fünfundzwanzig Prozent mehr Biodiversität«. Diese Berechnungen stellt ebenfalls der junge Doktor der Bodenkultur am privaten Forschungsinstitut für
Zurück zum Ursprung
an, der auch für Wasser und Treibhausgase zuständig ist. »Es ist sehr schwierig, repräsentative Berechnungen zur Artenvielfalt durchzuführen«, sagte er mir. »Die verschiedenen Betriebsformen und Betriebsgrößen sind zu unterschiedlich.« Es sei auch nicht möglich, die Produktionsstätten zu besuchen. »Wir können daher nur Schätzungen vornehmen«, gab der Agrarwissenschaftler zu bedenken. »An keinem einzigen Betrieb, an dem für
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produziert wird, haben wir jemals Arten gezählt.« Um dennoch höhere Zahlen für Biodiversität ausweisen zu können, greift man auf eine Schätzmethode zurück: Zunächst wird eine stichprobenartige Anzahl von Landwirtinnen und Landwirten über ihren Betrieb befragt, wobei Bewirtschaftungsweise, Düngereinsatz, Pflanzenschutzmaßnahmen, Mähtechniken sowie das Vorhandensein von Landschaftsstrukturen, die Tieren und Pflanzen als Lebensräume dienen könnten, erhoben werden. Entsprechend den Angaben der Bäuerinnen und Bauern werden dann Prozentpunkte vergeben. Dabei bezieht man sich auf einen botanischen Indexwert. Dieser wird von einer Referenzliste abgelesen, die anhand von Agrarflächen in der Schweiz erstellt wurde. Je mehr ökologisch relevante Strukturen an einem Hof vorhanden sind, die biologischen Arten potenzielle Refugien bieten, desto näher rückt der theoretische Wert laut Referenzliste der Hundert-Prozent-Marke. Konventionelle Betriebe erreichen in diesem Ranking durchschnittlich dreißig Prozent, jene von
Zurück zum Ursprung
fünfunddreißig Prozent. Da niemand jemals Tier- oder Pflanzenarten abgezählt hat, kam der für die Berechnungen zuständige Wissenschaftler zu dem Schluss:
    »Wir wissen derzeit nicht, ob die auf den Verpackungen ausgewiesenen Unterschiede der Artenvielfalt in der Realität tatsächlich vorzufinden sind.«
    Außerdem störe ihn, wie schon beim Wasserverbrauch, die verzerrende Darstellung in der Werbung, in der von »mehr« Biodiversität die Rede ist: »Der Referenzwert, der von mir berechnet wird, ist eigentlich ein geschätztes Maß für das relative
Biodiversitäts-Potenzial
.« Das tatsächliche Biodiversitäts-Niveau lässt sich nur anhand von Feldstudien feststellen, und genau die finden nicht statt. Hinzu kommt ein weiterer kleiner Schönheitsfehler: Die Angaben der Landwirtinnen und Landwirte, auf die man sich

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