Der große Bio-Schmaeh
Naturreservate und es liegt mir fern, dieses Gefühl vermitteln zu wollen. Für kommerzielle Werbung werden sogar Himbeeren mit Draht in die Sträucher gehängt. Ich denke, da lasse ich lieber meine Finger davon.
Clemens G. Arvay:
Es wurden aber ganze Bände über zielgruppenorientiertes Marketing im Bio-Lebensmittelhandel verfasst. Ist es nicht zeitgemäß, die Konsumentinnen und Konsumenten so direkt wie möglich anzusprechen?
Rupert Matzer:
Ja genau, direkt ansprechen! Das tue ich ohnedies jeden Tag. Hier in meinem Geschäft komme ich laufend ins Gespräch mit meinen Kundinnen und Kunden. Das verstehe ich unter direkter Ansprache.
Clemens G. Arvay:
Mit den Erwartungen der »DINKS 62 «, der »LOHAS 63 « oder anderer definierter Zielgruppen haben Sie sich also noch nicht auseinandergesetzt?
Rupert Matzer:
Das Wort »DINKS« habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört und ich kann mir überhaupt nichts darunter vorstellen. Über die »LOHAS« habe ich eher zufällig einmal gelesen, aber ich könnte jetzt nicht sagen, wodurch sie sich speziell auszeichnen.
Clemens G. Arvay:
Auf welche Art betreiben Sie dann Werbung?
Rupert Matzer:
Werbung im eigentlichen Sinne betreibe ich gar keine. Meine Kundinnen und Kunden sind mündige Menschen. Wenn sie in meinen Bio-Laden kommen, dann haben sie bestimmt ihre Gründe dafür. Wenn sie mit meinem Angebot zufrieden sind, werden sie wiederkommen und vielleicht sogar Freunde und Bekannte mitbringen. Wenn sie nicht zufrieden sind, sehe ich auch keine Notwendigkeit, sie wieder hierher zu locken. Es ist ganz einfach: Mein »Marketing« besteht im persönlichen Kundenkontakt. Wenn mich jemand etwas fragt, gebe ich Auskunft.
Clemens G. Arvay:
Und wenn Ihnen kritische Fragen gestellt werden?
Rupert Matzer:
Na umso besser! Die gesamte Ökolandbaubewegung basiert ja auf einer kritischen Grundhaltung. Auch Selbstkritik ist etwas Notwendiges, um sich weiterzuentwickeln. Es gibt vieles, das wir noch verbessern müssen. Das trifft auf mich als Bio-Kaufmann zu ebenso wie auf die biologische Landwirtschaft an sich.
Clemens G. Arvay:
Wenn wir schon von offener Kommunikation sprechen: Was würden Sie im Ökolandbau besonders kritisch sehen?
Rupert Matzer:
Es gibt einiges, worin ich mich noch für Verbesserungen einsetzen möchte. Ein trauriges Beispiel ist der Umgang mit Küken in der Eierproduktion, auch im Nischenmarkt. Das Töten der männlichen Küken ist absolut unwürdig. Das ist Krieg! Die Wirtschaft muss Abstriche machen. Wir brauchen nicht lauter Superlegehühner. Ich setze mich dafür ein, dass wieder vermehrt alte Rassen gehalten werden, die sowohl als Masthühner als auch als Legehennen geeignet sind. Diese Zweinutzungsrassen sind kaum mehr zu bekommen. Viele Bio-Bauern sind darauf angewiesen, ihre Tiere aus herkömmlichen Brütereien zu beziehen. Zweinutzungshühner sind zwar weniger ertragreich als moderne Rassen, aber wir müssen dorthin zurück, weil die derzeitige Situation der Küken moralisch einfach nicht vertretbar ist. Das thematisieren wir hier im Geschäft ganz offen. In solchen Fällen ist Verheimlichung wirklich der falsche Weg.
Clemens G. Arvay:
Und sonst?
Rupert Matzer:
Ansonsten behalte ich die Betriebsgrößen meiner Lieferanten im Auge. Wenn sich ein Hühnerbauer der Tausend-Stück-Marke nähert, dann wird mir das eindeutig zu viel, obwohl das noch immer weit unter den Betriebsgrößen am Bio-Massenmarkt liegt. Auch den Einsatz von zu schweren Maschinen halte ich für nicht angebracht im Ökolandbau. Es ist viel wichtiger, offen zu diesen Grundwerten zu stehen, als in der Öffentlichkeit so zu tun, als wäre Bio automatisch etwas Heiliges, bloß weil ein EU-Biozeichen draufklebt.
Clemens G. Arvay:
Glauben Sie, dass die Bio-Idee in die falschen Hände geraten ist?
Rupert Matzer:
Das kommt auf den Einzelfall an. Der Bio-Markt gehört jedenfalls in die Hände von Menschen, die voll hinter der Idee stehen und nicht nur aus marktstrategischen Gründen dabei sind. Biologische Landwirtschaft muss ihnen ein ehrliches Anliegen sein und eine selbstkritische Haltung gehört da einfach dazu. Bio muss vom Herzen kommen, nicht vom Geldbeutel. Ich würde einfach sagen: Wenn der Ökolandbau in Hände gerät, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, dann ist er in falschen Händen.
Von echten Bio-Pionieren
Wofür der ökologische Landbau eigentlich stehen sollte
Der Ökolandbau als das gänzlich Andere
»Die Situation der Landwirtschaft erfordert
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