Der große Bio-Schmaeh
eine
grundsätzliche
Neuorientierung. Die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion muss reduziert werden.« So äußerten sich die Autoren Dr. Thomas Frieder und Rudolf Vögel 1989 in ihrem Buch »Ökologische Landwirtschaft«. 64 Der Agrarwissenschaftler Hans Staub schrieb 1980 in seinem Buch über alternative Landwirtschaft Folgendes: »Nein sagen zum Üblichen, das vorherrscht und das zum Üblen führt, ist auch eine Alternative.« 65 Durchstöbert man die Literatur über biologische Landwirtschaft aus den Siebzigern, Achtzigern und frühen Neunzigern, so stößt man immer wieder auf die Idee des Ökolandbaus als das gänzlich Andere – als eine Idee, die aus der Opposition gegenüber dem gängigen Markt entstanden ist. Der Wiener Bio-Bäcker Franz Kaschik analysierte die Lage der Bio-Bewegung am Beginn des 21. Jahrhunderts folgendermaßen: »Früher ging es um den Erhalt der Individualität von Bauernhöfen und um die Förderung der kleineren Handwerksbetriebe. Aber heute kämpfen Klein- und Mittelbetriebe, auch im Ökolandbau, wie Don Quijote gegen die Windmühlen der großen Fische.« In Dutzenden von älteren Publikationen über Ökolandbau suchte ich nach den gemeinsamen Grundpositionen, die dort verteidigt werden. Ich kam zu dem Schluss, dass es im Kern der Bio-Idee um den Erhalt der biokulturellen Vielfalt in der Landwirtschaft geht.
Biokulturelle Diversität
Im Reich der Biowissenschaften gibt es ihn noch, unbefleckt durch seine Verwendung in der Massenwerbung: den Begriff der Biodiversität. Abseits kommerzieller Werbeagenturen arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch in Reinform mit ihm. Und sie haben ihn mit einem anderen Konzept zusammengesetzt, das aus den Kultur- und Sozialwissenschaften stammt: nämlich mit jenem der kulturellen Diversität. Biokulturelle Diversität finden wir überall dort vor, wo biologische und kulturelle Vielfalt einander überschneiden. Die Landwirtschaft ist ein Hot-Spot dafür.
»Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung: Eine Gruppe von Frauen kehrt nach einem arbeitsreichen Tag zurück in ihr prähistorisches Dorf. Die Sammlerinnen sind müde, doch auf ihren Schultern lasten schwere Körbe, bis zum Überlaufen gefüllt mit Samenkörnern wild wachsender Gräser, die sie als Nahrung für ihre Gemeinschaft mühsam geerntet haben. Auf dem Weg ins Vorratslager folgen einige Körner der Schwerkraft und rieseln auf den Boden herab. Im Dorf und seiner unmittelbaren Umgebung finden sie an etlichen Stellen ideale Bedingungen zur Keimung vor. Nacktes und zertrampeltes Erdreich, Pfade für Mensch und Tier, verlassene Feuerstellen oder etwa sogar die Reste eines verfallenen Lehmhauses bieten Nährböden, damit sich einige der herabgefallenen Körner in der Folge zu Gräsern entwickeln können.« 66
Die Geschichte der Landwirtschaft nahm vor zehntausend Jahren ihre Anfänge und stellt die Schnittstelle zwischen Natur- und Kulturgeschichte dar. Im Laufe der Zeit entwickelten sich unter Menschenhand Tausende verschiedener Kulturpflanzenarten und landwirtschaftlicher Tierarten, von denen die meisten wiederum in mehrere, manchmal sogar Hunderte unterschiedlichster Sorten eingeteilt werden können. Diese inzwischen durch Massenmarkt und logistische Zwänge stark gefährdete Vielfalt stellt ein anschauliches Beispiel für biokulturelle Diversität dar.
Biologisch
ist sie deswegen, weil ihre Ausgangsstoffe rein natürlich sind: Wild wachsende Arten, die genetische Naturvielfalt und schließlich die Mechanismen der biologischen Evolution sind die Urstoffe für das Entstehen so vieler Kulturpflanzensorten und Haustierrassen. Und
kulturell
, weil es unzählige Menschengenerationen waren, in denen Bauern und Züchterinnen aus den Gegebenheiten der Natur erst das Entstehen so vieler Arten, Sorten und Rassen in der Landwirtschaft ermöglichten. Sie richteten sich dabei nach den Bedürfnissen ihrer Völkergemeinschaften. Die biokulturelle Vielfalt von landwirtschaftlichen Pflanzen und Tieren entstand also an der Schnittstelle zwischen Natur und Kultur.
Es gehören aber noch viele andere Errungenschaften aus der Menschheitsgeschichte in das Konzept der biokulturellen Diversität: das Wissen um den richtigen Umgang mit der Natur zum Beispiel. Und traditionelle, von Generation zu Generation weitergegebene Techniken der Landbewirtschaftung. Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die Terrassengärten südamerikanischer Bauern oder an die Waldgärtnerei, in der man versucht, ein
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