Der große Bio-Schmaeh
beliefert. »Im konventionellen Lebensmittelhandel wird auch bei Bio rein auf Programm produziert, nicht auf Bedarf«, fügte der Insider hinzu. Es gehe in erster Linie um die maximale Auslastung eines Marktsektors. Denn die Devise sei, so wurde mir erklärt, jede Nische auszureizen, um die Unternehmensexpansion aufrechtzuerhalten. Damit wären wir auch schon beim wichtigsten Stichwort für dieses Kapitel: Wachstum! Der Markt, ganz egal von welcher Branche wir sprechen, verträgt keine Stagnation. Investoren und Aktionären gefällt es ebenso wenig wie den Konzernmanagern selbst, wenn das Geschäft stagniert. Unser gesamtes Wirtschaftssystem baut auf Expansion und der Sicherung von Marktanteilen gegenüber der Konkurrenz auf. »Der Bio-Massenmarkt ist ein künstlich geschaffener Markt«, bekam ich in Gesprächen mit Marketingmanagern immer wieder zu hören. Man stelle sich die zwickmühlenartige Situation der Konzernangestellten vor: Nun ist der Lebensmittelmarkt bereits mehr als gesättigt und dennoch sollen sie für jährliches Wachstum ihres Dienstgeberkonzerns sorgen. Es gibt nichts mehr, das wir brauchen und das in Supermärkten nicht schon in verschiedensten Farben und Formen erhältlich wäre. Viel eher trifft der umgekehrte Fall zu. Wenn wir uns nämlich den Überfluss ansehen, der in die Handelsregale gestopft wird, so könnte man sich die Frage stellen: Braucht die Menschheit diese Flut an Produkten, die beworben, angepriesen und vermarktet werden, wirklich? Angesichts dieser Dichte an Produktarten erscheint der Auftrag an die Lebensmittelkonzerne, für weiteres Wachstum zu sorgen, geradezu absurd. Dennoch tut man alles, um die Expansion weiterhin voranzutreiben. Wir brauchen vermutlich bei Weitem nicht so viele Marken für Tiefkühlpizza, wie uns in den Kühlregalen angeboten werden. Und nach dem hundertsten Label für Fischstäbchen ist irgendwann die Grenze der Sinnhaftigkeit überschritten.
Da aber trotz der Übersättigung des Lebensmittelmarktes eine Stagnation um jeden Preis verhindert werden muss, kommt den Konzernen die Bio-Nische gerade recht. Sie brauchen Bio-Konsumenten auf ähnliche Weise, wie Bram Stokers Graf Dracula schöne junge Frauen braucht: Der Fürst der Finsternis, der übrigens auf die historische Figur Vlad Tepes den Dritten zurückgeht, gibt nur vor, seinen Opfern wohlgesonnen zu sein, und lockt sie mit seinem Charme in die blassen Mondnächte hinaus, wo er über sie herfällt. Denn in Wirklichkeit hat er es auf ihr Blut abgesehen, von dem er immer mehr und mehr bekommen muss, um weiter existieren zu können. So wie Dracula das frische Blut, brauchen die Lebensmittelkonzerne immer mehr des Geldes ihrer Kundinnen und Kunden, um den Wachstumskurs aufrechtzuerhalten. Und ganz ähnlich, wie er, der Graf, seine Opfer heimtückisch zu sich ruft, lockt uns auch der Lebensmittelhandel mithilfe der Werbung und liebreizender Versprechen in die Filialen seiner Supermärkte. Man gibt vor – ebenfalls nach Art des blutrünstigen Dunkelfürsten –, uns wohlgesonnen zu sein. Dass Kinder inzwischen schon in nahezu jeder Supermarktfiliale Sammelalben geschenkt bekommen, die sich erst durch regen Einkauf mit Aufklebern füllen lassen, ist nur eine von vielen »draculösen« Strategien im Dienste des Geldrausches der Wachstumsmärkte. Bio-Produkte ganz nach unseren Bedürfnissen herzustellen, das ist ein weiteres reizvolles, aber beinhart kalkuliertes Versprechen. Die Konzerne inszenieren sich hierfür sogar als ökologische Revolutionäre. In Bram Stokers »Dracula« ist es nur eine kleine, eingeweihte Gruppe rund um den Arzt und Kenner der Vampire, Doktor van Helsing, die um die wahre Natur des Grafen weiß und versucht, den ununterbrochenen Blutstrom versiegen zu lassen. Doch welcher Heldentrupp wird sich formieren, um dem Wachstumsrausch der Lebensmittelkonzerne wacker entgegenzutreten? Die Bio-Nische wurde seitens der Wachstumsstrategen nicht nur besetzt, sondern darüber hinaus medial zum Boom aufgeblasen, der sich nun anzapfen lässt.
Der so entstandene Bio TM -Markt ist jedoch keine unversiegbare Quelle des Geldstroms. Langsam nähert er sich seinen Grenzen: »Wir stellen fest, dass der Bio-Markt nahezu ausgeschöpft ist. Wir rechnen nicht damit, dass wir unsere jährlichen Umsätze im Bio-Bereich noch maßgeblich steigern können«, schätzte der Prokurist eines großen Geflügelkonzerns in Österreich das Entwicklungspotenzial ein. »Deswegen setzen wir auch weiterhin zum allergrößten
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