Der große Bio-Schmaeh
in der Nacht am intensivsten, obwohl die Produktion auf dem Massenmarkt niemals stillsteht. Es war stockdunkel, als ich auf dem Betriebsgelände der Bäckerei Kuchen Peter in Hagenbrunn, nicht weit von Wien, ankam. Ein Blick auf die Uhr: Mitternacht. Ich verdankte es zwei Tassen Kaffee, dass ich noch hellwach und aufnahmefähig war. Ich stieg aus dem Auto und schritt auf das Hauptgebäude der Bäckerei zu. Dass mich hier keine »Backstube« erwartete, wurde mir auf den ersten Blick klar. Die Fabrikhallen lagen schwerfällig vor mir und eine ganze Flotte von Lastwägen stand schon bereit und wartete darauf, die Backwaren dieser Nacht in den frühen Morgenstunden über ganz Österreich zu verteilen. Die Adresse der Firma fand ich ausgesprochen aussagekräftig. Sie lautete auf »Industriestraße«. Eine Maschinenfabrik war die unmittelbare Nachbarin der Backfabrik. Die Hoffnung, auf das in der Werbung versprochene traditionelle Handwerk zu stoßen, hatte ich bereits aufgegeben, als ich die Pforte in die Welt der Bäcker durchschritt. Auch drinnen erinnerte mich nichts an eine Backstube. Einer der Schichtführer hatte mich willkommen geheißen, durch den Sicherheitstrakt geschleust und mich an den Ort des Geschehens geführt. Wir befanden uns in »Produktionshalle Eins«, wie mir ein Schild verriet. Es dauerte eine Weile, bis ich mich in der ungewohnten Umgebung orientiert und meine Ohren sich an das rasende Betriebsgeräusch der Maschinen und Fließbänder gewöhnt hatten. Dann begaben wir uns auf einen Rundgang. Die Fabrik bestand aus drei aufeinanderfolgenden Hallen, die durch große automatische Tore voneinander getrennt waren. Das Ambiente hätte auch zu einer Papierfabrik gehören können. Bäckerinnen und Bäcker, wie ich sie mir vorgestellt hatte, würde ich in dieser Nacht keine treffen – dafür aber zahlreiche »Maschinenführer«.
Schichtführer und Maschinenschlosser waren auf
Fahrrädern
unterwegs! In diesem Fabrikkomplex zu Fuß zu gehen, wäre eine äußerst zeitverschwendende Angelegenheit gewesen. Und Zeit ist Geld. In einigen Metern Höhe jagte fertig gebackenes Brot auf Förderbändern in erstaunlich hoher Geschwindigkeit über meinen Kopf hinweg: Massentransport in die Packhalle.
Wir kamen an eine Maschine von beeindruckender Größe. Dass es sich bei diesem Ungetüm um einen Backofen handelte, überraschte mich jetzt nicht mehr. Man hätte einen Lastwagen darin parken können. Als ich die metallene Realität der Großindustrie innerlich mit den Illusionen der gemütlichen Bäckerstube und des »traditionellen Handwerks« verglich, die uns in der Werbung aufgetischt werden, kam ich mir irgendwie an der Nase herumgeführt vor. Ein Strom, ein ganzes Meer an noch rohen Bio-Semmeln, floss unentwegt und voll automatisiert in den monströsen Ofen, der auf etlichen Etagen übereinander buk und die fertigen Semmeln am Ende scheinbar tonnenweise wieder ausspuckte – eine nie enden wollende Flut an essbarer Industrieware. Egal wohin ich blickte, überall dasselbe Bild: Riesige Maschinen kneteten Teig, formten Brot und Wecken, drückten ihre Roboterarme im rasenden Akkord auf das Backwerk, um diesem Form und Struktur zu verleihen, als hätten Bäckerin und Bäcker Hand angelegt. Hier rieselte Sesam aus tiefen Wannen auf das vorbeiflitzende Gebäck, dort sortierte ein Roboterarm misslungene Endprodukte aus. Hie und da traf man auf Menschen. Die einen, die das Sagen hatten, fuhren auf ihren flinken Fahrrädern und Elektrowägen durch den Hallenkomplex. Die anderen – jene nämlich, die von den Fahrradfahrern umher kommandiert wurden – waren zu großen Teilen ausländische Arbeiter. Sie kamen aus Osteuropa, einige auch aus Afrika. Im Akkord führten sie die ganze Nacht hindurch immer dieselben Handbewegungen aus, auf die sie trainiert und gedrillt waren – der Mensch als Produktionsmaschine. Manche verdrehten in atemberaubender Geschwindigkeit die pausenlos vorbeiflitzenden »Bio-Ursprungsweckerln« von Hofer und brachten sie so in die Form einer Schleife. Andere schaufelten ohne Einhalt Semmelberge von einem Fließband auf das nächste. Wieder andere klebten Etiketten auf das in Plastikfolie verschweißte Bio-Gebäck und versuchten dabei, mit der Affengeschwindigkeit der Packmaschine mitzuhalten.
Alles aus einer Hand
Die von mir besuchte Backfabrik ist keine »Bio-Bäckerei«, sondern ein Betrieb, in dem hauptsächlich konventionelle, das heißt nicht-biologische Backwaren für die großen
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