Der große Blowjob (German Edition)
lassen sie mich gehen. Ich gehe zur Gepäckausgabe, und mein Rimowa erwartet mich schon. Ich rolle ihn in ein WC , suche das Klonopin heraus und werfe mir eine Handvoll ein und warte, warte, dass sie der Schärfe die Spitze nehmen.
Ich sehe mich in einem der großen Spiegel an, und ich traue meinen Augen nicht, während ich warte, dass endlich das Medikament zu wirken beginnt. Bin das wirklich ich, den ich da sehe? Und dann, wie Gespenster, wie fast vergessene Schemen, umgeben mich im Spiegel die halb durchscheinenden Gesichter der Gefallenen: Henry, Dave und Bob, Gayle, Beatrice, George, Nan, Jay, Justin, Jordon, Sam, Harlan, Cyril, Kevin, Mike & so viele andere, alle zu 50 % opak. Sie sehen mich an, direkt ins Gesicht, losgelöst von aller Körperlichkeit. Und dann Juliette, in ihrer Mitte, die mich anstarrt, ihre verlaufene Wimperntusche verwandelt ihr Gesicht in eine Horrorshow. Ach, wie scheußlich ist die Welt, höre ich mich zu dem Raum sagen, wer hätte gedacht, dass so ein junges, kleines Mädel meine herrliche Bosheit vernichten würde? Ich sehe noch einmal mein Spiegelbild an, und es ist so klar wie die Nacht: Ich stürze in den Abgrund, ich bin erledigt.
Denn kehre ich zur Gepäckausgabe zurück und gehe durch die Glasschiebetüren ins Freie. Die Temperatur in L. A. liegt bei vorhersehbaren 24 ° Celsius, die Sonne scheint, und kurz meine ich in der Luft den Geruch von brennendem Eukalyptus wahrzunehmen.
Dritter Teil
3.17
«Meine Mutter hat sich umgebracht» ist ein Satz, den ich geschrieben, gedacht, laut gedacht, laut ausgesprochen, vor mich hingemurmelt, mit der Hand geschrieben, in eine Tastatur getippt, geschrien habe, und trotzdem ist er noch immer nicht wahr, egal, wie oft ich ihn wiederhole. Ja, es stimmt, sie ist wahnsinnig geworden, es stimmt, sie ist von eigener Hand gestorben, aber «hat sich umgebracht» erzählt die Geschichte trotzdem irgendwie nicht, oder nicht genau genug zumindest. Es gab mildernde Faktoren, wie immer, und von ferne ist «Selbstmord» vielleicht ein Wort, das eine bestimmte Tat bezeichnet, wobei besagte Tat hinreichend ist, um gewisse Erklärungen für Verhalten und Einstellungen zu liefern. Ich habe mir in der Vergangenheit zuschulden kommen lassen, das Ereignis zu instrumentalisieren und zu einer Meistererzählung umzuformen, und deshalb ist die Aussage letzten Endes zumindest teilweise falsch. Das denke ich, während ich dastehe und auf den Avis-Bus warte, und dann überlege ich es mir spontan anders, ich werde doch keinen Wagen mieten. Vielleicht war es das Erlebnis, in Seths Range Rover zu sitzen, oder sein Anblick, als er darin in der Nacht davonfuhr, von meinem Fenster aus, möglicherweise seinem Tod entgegen. Bei einem Unfall auf dem Brooklyn-Queens-Expressway, könnte ich ihn mir vorstellen, oder wie ihn zumindest die Polizei rechts rausgewunken, ihm den Führerschein abgenommen und den Wagen beschlagnahmt hat. Vielleicht lag es auch an meinem mentalen Zustand, knapp am Rande der völligen Besinnungslosigkeit, jedenfalls schien selbst Auto zu fahren in dem Moment und auch jetzt noch keine gute Idee zu sein. Ich steige in ein Taxi, um mich zum Hotel fahren zu lassen. Unterwegs auf dem Lincoln Boulevard blockiert ein Rettungswagen den Verkehr. Ein haariger, wild dreinblickender Mann hat sich an einen Einkaufswagen gekettet, und man versucht gerade, die Kette mit einem Bolzenschneider zu durchtrennen, um ihn zu befreien, damit man ihn darauf gleich ins Gefängnis bringen kann. Als wir an dem Rettungswagen vorbei sind, fließt der Verkehr wieder. Wir warten zwei Grünphasen hindurch auf der Linksabbiegerspur zum Pico Boulevard, aber dann springt der Pfeil auch für uns auf Grün, und wir fahren los nach Westen, aufs Meer zu.
Shutters on the Beach befindet sich in Santa Monica, direkt am Wasser, wie der Name schon andeutet. Hier steige ich immer ab, wenn ich in L. A. bin. Ich habe hier sogar fast zwei Monate lang gewohnt, während ich auf der Suche nach einem Apartment war, in meiner sogenannten Hollywood-Drehbuchautor-Phase. Harrison Ford wohnte damals auch hier. Er drehte gerade einen Film namens
Firewall
, unter dem Arbeitstitel
Noch unbetiteltes Harrison-Ford-Projekt
. Er sieht in natura echt viel älter aus als auf der Leinwand, wenn sie ihn richtig ausleuchten und mit Gaze über der Kameralinse filmen, oder was immer die da genau machen. Er hatte einen Hund den ganzen weiten Weg aus New York mit hergebracht. Ich checke am Empfang ein, und das erste
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