Der große deutsche Märchenschatz
verging unter Trauer, und ehe man sich dessen versah, kam der Abend und alsbald folgte die dunkle Nacht. Das war wieder eine traurige Nacht, in der weder Graf noch Gräfin ein Auge schlieÃen konnte.
Als der Morgen andämmerte, waren Graf und Gräfin schon auf den FüÃen und gingen in die Burgkapelle und beteten dort recht inständig. Dann wanderten sie hinaus in den schönen, grünen Wald. Es war noch früher, früher Morgen und viele Vöglein lagen noch in ihren Nestchen und schliefen. Nur die Bächlein rieselten und murmelten und die Morgenwinde lispelten in den Baumzweigen, sonst war es noch ganz stille, so stille wie in einer Kirche.
Graf und Gräfin gingen nun hinaus, bis sie die alte, greisbärtige Tanne von Ferne sahen. Da küsste der Graf seine schöne Gräfin und eine Träne träufelte auf seinen Bart, denn er wusste nicht, ob er sie noch einmal sehen werde. Die Gräfin war aber heute gefasster und ihr Herz schlug nicht so sehr wie die früheren Male. Sie nahm auch Abschied von ihrem Gemahl und wanderte zur Tanne. Da stand sie aber ganz mutterseelenallein bei dem alten Baume und kein Nörglein lieà sich sehen. Da ging sie weiter und kam bald zu einem gar schönen Steige, wie sie noch keinen gesehen. Es waren an beiden Seiten wilde Rosensträuche und bildeten einen schönen Zaun.
Sie ging dem Wege nach und kam bald zu einem schönen Tälchen. Da waren die schönsten Blumen und an den Hügeln standen Reben und Feigenbäumchen. Mitten im Felde aber stand ein Häuschen und das war gar so nett. Es hatte kleine Fensterchen und die glitzerten im Scheine der Morgensonne gar lustig. Aus dem kleinen Kaminchen wirbelte blauer Rauch auf und innen erklang ein Liedchen.
Die Gräfin vergaà Ach und Weh, als sie das Tälchen und das Häuschen sah, und schlich auf den Zehen zu einem Fensterchen, um zu sehen, ob es im Innern auch so schön sei. Wie sie dabei war, sah sie in eine allerliebste Küche und drinnen sott und brodelte es in Häflein und Töpfchen. Am Herde stand aber das Waldmännlein, rührte bald da bald dort auf und sang mit lächelndem Munde:
»Siede, mein Hafele, plapper, mein Kraut,
âs ist gut, dass die Frau Gräfin nit weiÃ,
Dass ich Purzinigele heiÃ.«
Die Gräfin hatte nun genug gehört. Leise, wie sie sich zum Hause geschlichen hatte, schlich sie wieder fort und eilte dann rasch zur Tanne hin, damit das Nörglein sie nicht einhole. Wie sie dort stand, konnte sie vor Freude fast nicht die Ankunft des Waldmännleins erwarten. Sie hatte noch nicht lange geharrt, als das Männlein kam. Heute war es noch schöner geschmückt als sonst und hatte ein rotes golddurchwirktes Kleid an, das glänzte wie die Morgenröte.
»Nun rate heute zum letzten Male«, sprach der kleine Wicht die Gräfin an und blickte sie an, als hätte er sagen gewollt: »Du, Vogel, kommst mir nicht mehr aus den Schlingen.«
Die Gräfin fing nun an »Pur« und schaute dabei den Frager mit beobachtendem Blicke an.
»Nicht getroffen; nun darfst du noch zweimal raten!«, sagte das Männchen.
»Ziege«, sprach wieder die Gräfin.
Da überflog eine leise Röte das Nörglein und es schien nachdenklich zu werden. Doch sagte es: »Rate schnell â noch einmal steht es dir frei.«
»Purzinigele!«, rief die Gräfin voller Freude. Wie das Nörglein seinen Namen gehört hatte, rollte es zornig seine glühenden Augen, ballte krampfhaft die Fäuste und verschwand dann brummend in das Dickicht. Die befreite Gräfin eilte aber der Stelle zu, wo der Graf in Ungeduld ihrer harrte. Das war aber eine Freude, als sich beide wiederfanden. Graf und Gräfin zogen nun auf ihr Schloss zur Freude der Ihrigen und lebten dort noch viele, viele Jahre als das glücklichste Paar, das man je gekannt.
Und wo ist das Purzinigele?
Das war so zornig, dass es auf und davon lief, und wurde seitdem nie mehr gesehen.
* Nörglein = Zwerg, Wichtelmännchen.
* Plenten = Heidekorn; Türken = Mais.
WerweiÃ
Vor undenklichen Zeiten hauste einmal ein Wirt nahe bei einem Walde. Er war sehr geizig und tat mit dem kleinsten Dinge, als ob es Goldes wert wäre. Zur selben Zeit lebte ein mächtiger, reicher König, und der schaute das Geld nicht an, sondern lebte in Saus und Braus. Einmal schrieb der König eine Jagd aus und setzte für das beste Waidstück einen
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