Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Einverständnis hin.
Elizabeth Trents Leben begann um diese nachmittäglichen Begegnungen zu kreisen. Sie verbrachte jeden Morgen damit, sich darauf vorzubereiten, und jeden Abend sprach sie darüber. Ihre Freundinnen beklagten sich, sie habe nur ihren Edward im Kopf. Ihr Vater beklagte sich über ihr unersättliches Verlangen nach neuen Kleidern. »Sie scheint es für eine Notwendigkeit zu halten«, sagte er, »jeden Tag ein neues Kleid zu tragen, und am liebsten sogar zwei.«
Der unattraktiven jungen Frau kam offenbar nie der Gedanke, wie seltsam es war, daß Mr. Pierce unter all den hinreißenden Schönheiten der Rotten Row ausgerechnet sie erwählt hatte. Seine Aufmerksamkeiten nahmen sie völlig gefangen. Im Prozeß äußerte sich Pierce summarisch über diese Unterhaltungen. Sie seien »oberflächlich und trivial« gewesen. Nur von einer berichtete er ausführlicher.
Sie hatte irgendwann im Oktober 1854 stattgefunden.
Es war eine Zeit politischer Unruhen und militärischer Skandale. Dem Selbstbewußtsein der Nation war ein schwerer Schlag zugefügt worden. Der Krim-Krieg nahm einen katastrophalen Verlauf. »Anfangs«, so J. B. Priestley, »begrüßte die Oberschicht den Krieg als ein grandioses, überdimensionales Picknick in einer weit entfernten, romantischen Gegend. Man hätte meinen können, das Schwarze Meer sei für den Tourismus entdeckt worden.
Wohlhabende Offiziere wie etwa Lord Cardigan entschlossen sich, ihre Yachten mitzunehmen. Die Ehefrauen einiger Kommandeure bestanden darauf, sich der Truppe anzuschließen, und ließen sich von ihren Zofen begleiten.
Verschiedene Zivilisten machten ihre Urlaubspläne rückgängig und folgten statt dessen der Armee, um sich den Spaß aus der Nähe anzusehen.«
Der Spaß wurde schnell zum Debakel. Die britischen Truppen waren schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und unterstanden einer unfähigen Führung. Lord Raglan, der Oberkommandierende, war bereits fünfundsechzig und »schon sehr alt für sein Alter«. Raglan meinte wohl, er kämpfe noch bei Waterloo. Wenn er vom Feind sprach, sagte er oft »die Franzosen«, obwohl die Franzosen jetzt seine Verbündeten waren. Einmal bezog er sogar, wohl in völliger Verwirrung, einen Beobachtungsposten hinter den feindlichen russischen Linien. Die Atmosphäre des »altersbedingten Chaos« verdichtete sich, und um die Mitte des Sommers schrieben selbst die Ehefrauen verschiedener Offiziere in ihren Briefen nach Hause, daß »die Männer allmählich nicht mehr zu wissen scheinen, was sie hier sollen«.
Im Oktober erreichten die Fehlleistungen der militärischen Führung in dem von Lord Cardigan befohlenen Angriff der Light Brigade ihren Höhepunkt. Bei diesem heldenhaften Sturmangriff fielen drei Viertel seiner Truppen – sie hatten die erfolgreiche Anstrengung unternommen, die falsche Feindbatterie außer Gefecht zu setzen.
Das Picknick war zweifellos beendet. Fast alle Engländer der Oberschicht machten sich ernste Sorgen. Die Namen Cardigan, Raglan und Lucan waren in aller Munde. An jenem warmen Oktobernachmittag im Hyde Park jedoch brachte Mr. Pierce das Gespräch mit Elizabeth Trent behutsam auf ihren Vater.
»Heute morgen war er fürchterlich nervös«, sagte sie.
»Tatsächlich?« fragte Pierce, der neben ihr her trabte.
»An den Tagen, an denen er eine Goldsendung zur Krim auf den Weg bringen muß, ist er immer sehr nervös. Er ist dann vom Aufstehen an sozusagen ein völlig anderer Mensch, geistesabwesend und tief in Gedanken.«
»Ich bin überzeugt, daß er eine schwere Verantwortung zu tragen hat«, sagte Pierce.
»Sie wird so schwer sein, fürchte ich, daß er sich in übermäßiges Trinken flüchtet«, sagte Elizabeth und lachte kurz auf.
»Ich bitte Sie, Sie übertreiben, Madam.«
»Nun, immerhin benimmt er sich sehr seltsam. Das ist nicht zu übersehen. Wie Sie wissen, ist er entschieden dagegen, daß man vor Einbruch der Dunkelheit Alkohol zu sich nimmt.«
»Ich weiß. Ein sehr vernünftiger Grundsatz, wie ich meine.«
»Wissen Sie«, fuhr Elizabeth Trent fort, »ich habe ihn im Verdacht, daß er gegen seine eigenen Regeln verstößt, denn an den Tagen, an denen eine neue Ladung verschickt werden soll, geht er morgens allein in den Weinkeller. Keiner der Diener darf ihn begleiten, nicht einmal, um ihm die Laterne zu halten. Er besteht darauf, allein zu gehen. Meine Stiefmutter hat ihm schon oft Vorwürfe gemacht und gesagt, er könne stolpern oder die Kellertreppe herunterfallen. Aber
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