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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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empört angesichts des Eindringens von Prostituierten in ehrbare Kreise, doch allen Rufen nach Reformen zum Trotz ließen die Damen der Halbwelt sich noch ein halbes Jahrhundert lang fröhlich und unbeschwert dort sehen, wo manche sie lieber nicht gesehen hätten. Die Prostitution der damaligen Zeit wird gern als besonders geschmacklose Manifestation der tiefverwurzelten Heuchelei jener Gesellschaft abgetan. Aber so einfach sind die Dinge nicht. Hier muß die Stellung der Frau im viktorianischen England berücksichtigt werden.
    Ganz allgemein wurde damals auf den Unterschied zwischen »männlich« und »weiblich« größter Wert gelegt, und zwar nicht nur in Kleidung, Betragen und Gehabe. Sogar einzelne Möbel oder einzelne Zimmer eines Hauses wurden als »männlich« oder »weiblich« angesehen. So galt etwa das Eßzimmer als maskulin, der Salon als feminin und so weiter. Man war der Ansicht, dafür gebe es biologische Gründe.
    »Es ist offenkundig«, schrieb etwa Alexander Walker, »daß der Mann, ausgestattet mit der Kraft seines Verstands, seiner Muskeln und dem Mut, sich seiner Gaben zu bedienen, für die Beschützerrolle qualifiziert ist. Die Frau hingegen, von schwacher Konstitution, schüchtern und mit geringen Geistesgaben versehen, bedarf des Schutzes. Unter solchen Umständen fällt dem Mann natürlicherweise die Führungsrolle zu. Der Frau ist es von der Natur bestimmt, zu dienen und zu gehorchen.«
    Mit geringen Abweichungen wurde dieser Glaube immer wieder nachgebetet. Die Frauen könnten nicht logisch denken; sie könnten die Folgen nicht absehen; sie ließen sich allein von ihren Gefühlen leiten, folglich sei es unerläßlich, daß der rational denkende, nüchterne Mann sie mit fester Hand lenke.
    Schon bei der Erziehung ließ man sich von dem Glauben an die geistige Unterlegenheit der Frau leiten, und viele Frauen aus guter Familie dürften tatsächlich jene einfältigen, affektierten, hilflosen Dummchen gewesen sein, die die Romane der viktorianischen Zeit bevölkern. Männer konnten nicht erwarten, viel Gemeinsames mit ihren Ehefrauen zu haben. Mandell Creighton schrieb einmal, er finde »Damen im allgemeinen eine höchst unbefriedigende geistige Nahrung; sie scheinen keine bemerkenswerten Gedanken und Ideen zu entwickeln, und obwohl es vorübergehend der Eitelkeit schmeicheln mag, daß man glaubt, ihnen einiges beibringen zu können, so verblaßt dieser Glaube doch nach kurzer Zeit. Von einem bestimmten Lebensalter an, sobald man ein Haus und eine gesicherte Existenz sein eigen nennt, gehört eben auch eine Frau dazu, sozusagen als Bestandteil des Inventars, und man sieht in ihr eine bequeme Einrichtung. Ich bezweifle jedoch sehr, daß je ein Mann von Geist und Verstand seine Gedanken zuerst seiner Frau mitgeteilt hat oder gar erwarten konnte, daß seine Frau diese Gedanken zu würdigen wußte.«
    Vieles spricht dafür, daß dieses Arrangement beide Geschlechter zu Tode langweilte. Die Frauen, die sich in ihren großen Häusern voller Dienstboten verloren vorkamen, flüchteten sich in spektakuläre hysterische Neurosen: vorübergehender Verlust des Gehörs, der Sprache und der Sehkraft, Atemnot, Ohnmacht, Appetitlosigkeit, gelegentlich sogar Verlust des Erinnerungsvermögens und zuweilen Krämpfe und Zuckungen. Solche Symptome bekräftigten natürlich nur die allgemeine Auffassung von der Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit der Frau.
    Frustrierten Männern stand eine andere Möglichkeit offen: Sie konnten bei Prostituierten Zuflucht suchen, die oft lebhaft, fröhlich und voller Esprit waren, die all das hatten, was bei einer Frau eigentlich unvorstellbar war. Außerdem fanden die Männer die Gesellschaft von Prostituierten angenehm, denn in ihrer Gegenwart konnten sie die steifen Formen des gesellschaftlichen und beruflichen Alltags abstreifen und sich in einer Atmosphäre »gelockerter Ungeniertheit« entspannen. Diese Freiheit von Beschränkungen jeglicher Art war mindestens so wichtig wie das »Ventil« für sexuelle Wünsche. Diese Vorzüge sind es wohl, die der Institution in der damaligen Gesellschaft ein so breites Fundament gaben und es den Prostituierten erlaubten, kühn in die Festungen der Ehrbarkeit einzudringen, etwa in die Arena der Rotten Row.
    Von September 1854 an traf Edward Pierce regelmäßig bei Ausritten in der Rotten Row mit Miss Elizabeth Trent zusammen. Die erste Begegnung schien ein Zufall gewesen zu sein, aber die späteren erfolgten auf ein unausgesprochenes

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