Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
er will nicht auf sie hören. Er verbringt dann einige Zeit im Keller, kommt wieder nach oben und begibt sich dann wie jeden Morgen zur Bank.«
»Ich nehme an«, sagte Pierce, »daß er den Weinkeller nur aus irgendeinem einleuchtenden Grund inspizieren möchte. Das wäre doch logisch?«
»Nein, durchaus nicht«, erwiderte Elizabeth, »denn die Ergänzung und Pflege des Weinkellers vertraut er immer nur meiner Stiefmutter an. Auch das Dekantieren der Weine vor dem Essen und solcherlei Dinge überläßt er ihr.«
»Wenn das so ist, muß ich zugeben, daß sein Verhalten höchst seltsam anmutet. Ich hoffe sehr«, sagte Pierce mit tiefernster Stimme, »daß seine Verantwortung sein Nervensystem nicht einer zu großen Belastung aussetzt.«
»Das hoffe ich auch«, erwiderte Mr. Trents Tochter mit einem Seufzen. »Ist es nicht ein wunderschöner Tag?«
»Wundervoll«, pflichtete Pierce ihr bei. »Unsagbar schön, aber doch nicht schöner als Sie.«
Elizabeth Trent kicherte und erwiderte, was ihm denn einfalle, ihr so offen zu schmeicheln. »Man könnte ja fast meinen, Sie hätten Absichten!« sagte sie lachend.
»Aber, aber!« gab Pierce zurück und legte seine Hand leicht, wenn auch nur kurz, auf die ihre.
»Ich bin so glücklich«, sagte sie.
»Und ich bin es mit Ihnen«, sagte Pierce. Und es war die reine Wahrheit, denn er wußte jetzt, wo er den vierten Schlüssel zu suchen hatte.
II.
Die Schlüssel
Nove m b er 1854 bis Februar 1855
Frisch vom Lande
Mr. Henry Fowler, der zur Lunchzeit in einer dunklen Nische des Schankraums saß, zeigte alle Anzeichen höchster Erregung. Er biß sich auf die Lippen, drehte sein Glas in den Händen und brachte es kaum über sich, seinem Freund Edward Pierce in die Augen zu sehen. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll«, sagte er. »Ich bin in einer höchst vertrackten Lage.«
»Ich versichere Sie meiner völligen Verschwiegenheit«, sagte Pierce und hob sein Glas.
»Ich danke Ihnen«, sagte Fowler. »Wissen Sie«, begann er, verstummte aber sogleich wieder. »Wissen Sie, es ist – «, wieder brach er unvermittelt ab und schüttelte den Kopf. »Es ist eine scheußlich peinliche Angelegenheit.«
»Sprechen Sie ganz offen«, sagte Pierce, »von Mann zu Mann.«
Fowler leerte sein Glas mit einem Zug und setzte es dann mit einer so heftigen Bewegung auf den Tisch, daß es klirrte. »Also gut. Also, um es kurz zu machen, ich habe die Franzosenkrankheit.«
»Ach du liebe Zeit«, sagte Pierce.
»Ich fürchte, ich habe es ein bißchen zu schlimm getrieben«, sagte Fowler bedrückt. »Und jetzt muß ich dafür bezahlen. Es ist alles sehr häßlich und irritabel.« In jenen Tagen hielt man venerische Krankheiten für die Folge sexueller Ausschweifungen. Heilverfahren gab es kaum, und nur die wenigsten Ärzte waren bereit, einen mit einer solchen Krankheit behafteten Patienten zu behandeln. Die meisten Krankenhäuser waren auf die Behandlung der Gonorrhoe und der Syphilis nicht eingerichtet. Ein angesehener Mann, der sich eine dieser Krankheiten zugezogen hatte, wurde leicht zum Opfer einer Erpressung.
Das macht Mr. Fowlers Zurückhaltung verständlich.
»Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte Pierce, der bereits die Antwort wußte.
»Ich dachte mir – und ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe –, daß Sie als Junggeselle vielleicht wissen … nun, daß Sie mir vielleicht ein Mädchen vom Lande vermitteln können, das noch Jungfrau ist.«
Pierce hob die Augenbrauen. »Das ist nicht mehr so einfach, wie es einmal war.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Fowler mit vor Erregung lauter Stimme. Er zwang sich, leiser zu sprechen. »Ich weiß, wie schwierig das ist. Ich habe aber gehofft …«
Pierce nickte. »Ich kenne da eine Frau in Haymarket«, sagte er, »die gelegentlich noch ganz frische Mädchen hat. Wenn Sie wünschen, kann ich mich diskret erkundigen.«
»Oh, bitte«, sagte Mr. Fowler mit bebender Stimme. »Es ist äußerst peinvoll«, fügte er hinzu.
»Ich kann mich gern erkundigen«, sagte Mr. Pierce.
»Ich werde für immer in Ihrer Schuld stehen«, sagte Mr. Fowler. »Es ist äußerst peinvoll.«
»Ich werde mich erkundigen«, sagte Pierce. »Sie können morgen oder übermorgen mit einer Nachricht von mir rechnen. Unterdessen sollten Sie aber nicht den Kopf hängen lassen.«
»Oh, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen«, sagte Fowler und bestellte noch etwas zu trinken.
»Es kann freilich einiges kosten«, sagte Pierce.
»Die Kosten scheue ich nicht. Ich
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