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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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…«
    »Mund halten«, zischte Pierce.
    Agar verstummte. Pierce suchte weiter. Er fühlte, wie sein Herz pochte. Er sah nicht auf die Uhr, wollte nicht wissen, wie spät es war. Dann berührten seine Finger wieder kaltes Metall. Er hielt den Gegenstand im Licht.
    Es war ein blanker Schlüssel.
    »Der ist für einen Safe«, sagte Agar, als er ihn sah.
    »Richtig«, sagte Pierce seufzend. Er nahm die Laterne und hielt sie für Agar. Agar fischte zwei Wachsplättchen aus den Taschen. Er hielt sie einen Moment in der Hand, um sie anzuwärmen, und dann preßte er den Schlüssel hinein, erst die eine Seite, dann die andere.
    »Wie spät?« flüsterte er.
    »Neun Uhr einundfünfzig«, erwiderte Pierce.
    »Ich mache noch einen«, sagte Agar und wiederholte die Prozedur mit zwei frischen Wachsplättchen. Wer Erfahrung im Herstellen von Nachschlüsseln hatte, machte immer zwei Abdrücke, da man nie wissen konnte, ob nicht ein Plättchen zerbrach. Nachdem Agar mit seiner Arbeit fertig war, legte Pierce den Schlüssel an sein Versteck zurück.
    »Neun Uhr siebenundfünfzig.«
    »Verdammt, jetzt wird’s Zeit.«
    Sie verließen den Weinkeller, schlossen die Gittertür hinter sich ab und gingen auf Zehenspitzen die Treppe hinauf. An der Kellertür blieben sie stehen und warteten.
    Barlow, der sich draußen am Haus in der Nähe der Dienstbotenzimmer verborgen hielt, sah auf seine Taschenuhr. Es war genau zehn Uhr. Er zögerte einen Augenblick. Einerseits bedeutete jede Minute, die seine Komplizen länger in Mr. Trents Haus zubrachten, Gefahr. Andererseits war es nicht
    auszuschließen, daß sie, obwohl die Zeit abgelaufen war, mit ihrer Arbeit noch nicht fertig waren. Barlow wollte nicht hinterher als derjenige dastehen, der das Ganze verdorben hatte. Er wollte nicht, daß sie mit zornigen Gesichtern über ihn herfielen.
    Aber zehn Uhr war zehn Uhr, und so bewegte er sich mit einem Beutel in der Hand behutsam auf die Hundezwinger zu. Dort befanden sich drei Hunde, unter ihnen der Kampfhund, den Mr. Pierce kürzlich Mr. Trent geschenkt hatte. Barlow beugte sich über das Gitter und schüttelte vier quiekende Ratten aus dem Beutel. Die Hunde fingen sogleich an zu bellen und zu jaulen. Sie machten einen entsetzlichen Lärm.
    Barlow sah, wie in den Räumen der Dienerschaft ein Licht nach dem anderen angezündet wurde, und zog sich auf leisen Sohlen in die Dunkelheit zurück.
    Pierce und Agar, die den Lärm hörten, öffneten die Kellertür, traten in die Eingangshalle und schlossen die Tür zum Keller wieder. An der Rückseite des Hauses waren eilige Schritte zu hören. Pierce und Agar öffneten die Schlösser und Riegel der Vordertür, schlüpften ins Freie und verschwanden in der Nacht. Sie hinterließen keine Spuren. Das einzige Zeichen ihres Besuchs war die unverschlossene Vordertür des Hauses.
    Sie wußten, daß der Bediente, der als erster aufstand, am nächsten Morgen die Eingangstür unverschlossen finden würde. Der Bediente würde sich aber an den Zwischenfall mit der Kutsche am Abend zuvor erinnern und annehmen, er habe vergessen, die Tür abzuschließen. Insgeheim würde er vielleicht ein wenig beunruhigt sein, aber im weiteren Verlauf des Tages würde sich herausstellen, daß im Haus nichts fehlte, und so würde er den Vorfall wieder vergessen.
    Jedenfalls wurde der Polizei nie ein Einbruch bei den Trents gemeldet. Das rätselhafte Verhalten der Hunde wurde durch die vier tot im Zwinger liegenden Ratten hinlänglich erklärt. Es
    wurde zwar ein wenig darüber diskutiert, wie es den Ratten gelungen sein mochte, in den Zwinger zu gelangen, aber es gab viel zu tun im Haus der Trents, und für überflüssige Spekulationen über Trivialitäten hatte niemand Zeit.
    So kam es, daß Edward Pierce sich am 13. November 1854 bei Tagesanbruch im Besitz des ersten der vier Schlüssel befand, die er benötigte. Er machte sich sogleich mit aller Energie daran, den zweiten Schlüssel zu erlangen.

Das Rende z vous
    Mr. Henry Fowler traute seinen Augen nicht. In dem schwachen Lichtschein der Gaslaterne stand ein zierliches Geschöpf, wunderbar jung und mit rosigen Wangen. Wenn sie wohl auch (nach den damaligen Begriffen) nicht mehr minderjährig war, so konnte sie doch kaum älter als zwölf sein. Ihre zarte Erscheinung und ihre schüchterne Haltung sprachen für ihren unerweckten Zustand.
    Er sprach sie an. Sie erwiderte seinen Gruß zögernd und mit sanfter Stimme, schlug die Augen nieder und führte ihn zu einem nicht weit entfernten

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