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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Unauffällige Kleidung, fett. Ich schätze allerdings, daß er im Dienst nicht schläft, und trinken tut er auch nicht.«
    »Bewaffnet?«
    »Ja«, sagte sie und nickte.
    »Und wo sitzt er?« wollte Agar wissen.
    »Direkt an der Tür. Er sitzt da oben auf der obersten Treppenstufe vor der Tür und bewegt sich nicht vom Fleck. Neben sich hat er eine kleine Papiertüte. Ich glaube, darin ist sein Abendbrot.« Miss Miriam war sich dessen aber nicht sicher. Sie wagte es nicht, sich gar zu lange im Bahnhofsgebäude aufzuhalten, da sie keinen Verdacht erregen wollte.
    »Teufel auch«, sagte Agar voller Abscheu. »Sitzt direkt bei der Tür? Dann ist der Laden dicht.«
    »Ich möchte bloß wissen, warum sie einen Nachtwächter eingestellt haben«, sagte Pierce.
    »Vielleicht haben sie gemerkt, daß wir geschnüffelt haben«, sagte Agar, denn sie hatten das Büro mit Unterbrechungen über Monate hinweg beobachtet, und das war möglicherweise irgend jemandem aufgefallen.
    Pierce seufzte.
    »Jetzt ist es aus«, sagte Agar.
    »Es gibt immer einen Weg«, sagte Pierce.
    »Die Festung ist nicht zu knacken«, sagte Agar.
    »O doch«, sagte Pierce. »Es ist nur ein bißchen schwieriger geworden. Das ist alles.«
    »Und wie wollen Sie es anstellen, wenn ich fragen darf?« sagte Agar.
    »In der Mittagszeit«, erwiderte Pierce.
    »Am hellichten Tag?« fragte Agar entgeistert.
    »Warum nicht?«
    Am folgenden Tag beobachteten Pierce und Agar die Bahnbüros in den Mittagsstunden. Um ein Uhr war der London Bridge-Bahnhof voller Reisender, die kamen und gingen. Gepäckträger schleppten die Koffer von eleganten Reisenden, die zu ihren Erster-Klasse-Wagen gingen. Fliegende Händler boten Erfrischungen feil. In der Halle gingen drei oder vier Polizisten auf und ab und hielten nach Taschendieben Ausschau, denn diese verlegten neuerdings ihre Tätigkeit immer mehr auf die Bahnhöfe der Stadt. Die »Stipper« erleichterten ihre Opfer meist in dem Augenblick, in dem sie den Zug bestiegen. Daß sie bestohlen worden waren, merkten sie erst, wenn der Zug längst London verlassen hatte.
    Taschendiebe und Bahnhöfe – das gehörte für die Menschen der damaligen Zeit zusammen. Und als William Frith 1862 eines der berühmtesten Gemälde der Zeit malte, »Der Bahnhof«, stellte er zwei Detektive, die gerade einen Dieb geschnappt hatten, in den Mittelpunkt der Komposition.
    Auch jetzt patrouillierten einige Konstabler der Metropolitan Police im London Bridge-Bahnhof. Die Eisenbahngesellschaften setzten überdies noch eigene Wachen ein.
    »Es wimmelt hier ja geradezu von Uniformierten«, sagte Agar ärgerlich, als er über die Bahnsteige hinblickte.
    »Das soll uns nicht stören«, sagte Pierce. Er beobachtete das Büro der South Eastern.
    Um ein Uhr verließen die Angestellten das Büro und kamen plaudernd die Eisentreppe herunter. Der Fahrdienstleiter, ein ernster Mann mit langen Koteletten, blieb im Büro. Um zwei Uhr kehrten die Angestellten zurück, und die Büroarbeit wurde wiederaufgenommen.
    Am folgenden Tag ging der Fahrdienstleiter zum Lunch, aber dafür blieben zwei Angestellte im Büro.
    Am dritten Tag kannten Pierce und Agar das Schema: Um ein Uhr gingen ein oder mehrere Männer zu einem einstündigen Lunch, aber das Büro war nie ganz unbesetzt. Die Schlußfolgerung war eindeutig.
    »Am Tage geht es nicht«, sagte Agar.
    »Vielleicht an einem Sonntag«, sagte Pierce nachdenklich. Wie heute hatten schon damals die britischen Eisenbahner
    etwas gegen die Weiterführung des Bahnbetriebs an Sonnund Feiertagen. Es galt allgemein als unnötig, ja als ungehörig, an Sonntagen Geschäfte zu machen, und besonders die Eisenbahngesellschaften hatten seit jeher eine seltsame Neigung zu moralischem Verhalten an den Tag gelegt. So war etwa das Rauchen in Eisenbahnwagen auch dann noch verboten, als diese Gewohnheit sich allgemein durchgesetzt hatte. Ein Herr, der sich auf einer Bahnfahrt die Wohltat einer guten Zigarre gestatten wollte, mußte zuvor dem Schaffner ein Trinkgeld geben – und auch das war verboten. Dieser Zustand hielt trotz heftigen Drucks der öffentlichen Meinung bis 1868 an, als das Parlament endlich ein Gesetz verabschiedete, mit dem den Bahngesellschaften auferlegt wurde, den Reisenden das Rauchen zu gestatten.
    Ähnlich widersetzten sich die Bahngesellschaften beharrlich der Aufrechterhaltung des vollen Bahnbetriebs an Sonntagen, obwohl jedermann einsah, daß selbst die gottesfürchtigsten Menschen gelegentlich ja auch sonntags

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