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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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verreisen mußten. Trotz zunehmender Beliebtheit der Wochenendausflüge setzte die South Eastern Railway im Jahre 1854 an Sonntagen nur vier Züge ein, und die andere Linie, die den London BridgeBahnhof benutzte, die London & Greenwich Railway, ließ nur sechs Züge verkehren, nicht halb so viele, wie sie an normalen Werktagen fahren ließ.
    Als Pierce und Agar sich am folgenden Sonntag überzeugen wollten, was im Bahnhof vorging, mußten sie entdecken, daß vor dem Büro des Fahrdienstleiters nun sogar ein Doppelposten Wache hielt. Ein Wachmann stand in der Nähe der Tür, der andere hatte sich am Fuß der Treppe postiert.
    »Warum?« fragte Pierce, als er die Wachmänner sah.
    »Warum, um Himmels willen, waru m ?«
    Später, beim Prozeß, wurde bekannt, daß die South Eastern im Herbst 1854 den Eigentümer gewechselt hatte.
    Der neue Besitzer des Unternehmens, Mr. Willard Perkins, war ein Mann mit philanthropischen Neigungen, dessen Fürsorge für die niederen Stände so weit ging, daß er eine neue Geschäftspolitik einführte und in allen Positionen mehr Leute beschäftigte als bisher, »um all jenen eine ehrliche Arbeit zu geben, die sonst in Gesetzlosigkeit und leichtfertiger Promiskuität versinken könnten«. Das zusätzliche Personal wurde nur aus diesem einen Grund eingestellt. Die Direktion der Bahnlinie dachte nicht im Traum an einen Einbruch oder Raub. Als die Eisenbahngesellschaft dann später tatsächlich Opfer eines Raubüberfalls wurde, war Mr. Perkins sehr schockiert.
    Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß die South Eastern Railway um diese Zeit neue, in die Stadtmitte Londons führende Trassen bauen wollte, was den Abbruch vieler Häuser und die Umsiedlung ihrer Bewohner notwendig gemacht hätte. Und in einer solchen Situation waren Mr. Perkins’ philanthropische Bemühungen der Eisenbahngesellschaft sehr nützlich.
    »Sonntags ist also auch nichts zu machen«, sagte Agar, als er die beiden Wachbeamten sah. »Weihnachten vielleicht?«
    Pierce schüttelte den Kopf. Die Sicherheitsvorkehrungen würden am Weihnachtstag vielleicht etwas laxer gehandhabt werden, aber darauf durften sie sich nicht verlassen.
    »Wir müssen eine Zeit wählen, in der alles routinemäßig abläuft«, sagte er.
    »Tagsüber können wir hier nichts ausrichten.«
    »Ich weiß«, sagte Pierce. »Aber wir wissen noch nicht, wie es nachts hier aussieht. Wir sind noch nie die ganze Nacht über hiergeblieben.« Nachts war der Bahnhof menschenleer. Stadtstreicher und Tippelbrüder wurden von den Polizisten, die ihre Runden machten, ohne Federlesens auf die Straße befördert.
    »Ein ›Vögelchen‹ würden sie wegfangen«, sagte Agar.
    »Ich habe an einen Baldower gedacht, der sich versteckt«, entgegnete Pierce. Ein Mann, der sich irgendwo verborgen hielt, konnte die ganze Nacht über auf dem Bahnhof bleiben.
    »Sauber-Willy?«
    »Nein«, erwiderte Pierce. »Sauber-Willy ist ein Schwätzer und ein Dummkopf. Der hat keinen Funken Verstand im Leib. So einen Trottel können wir dabei nicht gebrauchen.«
    »Sie haben recht, er ist ein Einfaltspinsel«, sagte Agar.
    Sauber-Willy, der zur Zeit des Prozesses bereits das Zeitliche gesegnet hatte, wurde von verschiedenen Zeugen als »geistig minderbegabt« bezeichnet. Pierce selbst sagte aus: »Wir hatten das Gefühl, daß er für diese Aufgabe nicht geeignet war. Hätte man ihn gefaßt, dann hätte er, ohne daß es ihm überhaupt bewußt geworden wäre, unsere Pläne verraten.«
    »Und wen nehmen wir statt dessen?« fragte Agar, der seine Blicke durch die Bahnhofsallee schweifen ließ.
    »Ich habe an einen Pennbruder gedacht«, erwiderte Pierce.
    »Einen Pennbruder?« Agar war überrascht.
    »Ja«, erwiderte Pierce. »Ich glaube, ein Pennbruder wäre genau richtig. Kennen Sie zufällig einen, der in Frage käme?«
    »Ich werde schon einen auf treiben. Aber wo soll er sich denn verstecken?«
    »Wir stecken ihn in eine Kiste«, sagte Pierce.
    Kurz darauf ließ Pierce eine große Kiste nach seinen Angaben anfertigen und in sein Haus bringen. Agar machte einen, wie er selbst meinte, »sehr zuverlässigen Penner« ausfindig, und der Transport der Kiste zum Bahnhof wurde in die Wege geleitet.
    Der Pennbruder, ein Mann namens Henson, wurde nie gefunden; aber die Polizei bemühte sich auch nicht sehr, ihn aufzuspüren. Er war bei dem Unternehmen nur eine unbedeutende Schachfigur. Randfiguren wie er waren es nicht wert, daß man sich groß mit ihnen befaßte.
    Um die Mitte des 19.

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