Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
den Einbau von Doppelschlössern verlangt. Ich glaube, ich erwähnte schon, daß wir auch drei Schlösser einbauen, wenn ein Kunde dies wünscht.«
Lady Charlotte besah sich die Schlösser aus der Nähe.
»Drei scheint mir übertrieben. Es muß ja schrecklich langweilig sein, drei Schlüssel umzudrehen, nur um einen Safe zu öffnen. Die Schlösser sind einbruchsicher?«
»Oh, voll und ganz. So sicher sogar, daß in den letzten zwei Jahren kein Verbrecher auch nur den Versuch gemacht hat, diese Schlösser aufzubrechen. Es wäre ohnehin ein hoffnungsloses Unterfangen. Diese Safes bestehen aus doppelwandigem, gehärtetem Stahl, acht Zoll stark. Die bricht kein Mensch auf.« Lady Charlotte blickte einen Moment nachdenklich auf die Safes und nickte schließlich. »Sehr schön«, sagte sie. »Ich nehme also einen wie die da. Bitte lassen Sie ihn gleich in meine Kutsche laden.«
»Verzeihung, Madam?«
»Ich sagte, ich nehme also einen Safe wie die da. Das ist genau das, was ich brauche.«
»Madam«, sagte Mr. Chubb geduldig, »wir bauen diese Safes nur auf Bestellung.«
»Sie meinen, Sie haben keinen zu verkaufen?«
»Keinen, der schon fertig wäre, nein, Madam, bedaure aufrichtig. Jeder Safe wird gesondert nach den Spezifikationen des Kunden hergestellt.«
Lady Charlotte schien recht irritiert zu sein. »Nun, kann ich denn morgen früh einen haben?«
Mr. Chubb schluckte. »Morgen früh – nun, also, Madam, an sich brauchen wir sechs Wochen, um einen solchen Safe zu bauen. Aber gelegentlich haben wir es wohl auch schon in vier Wochen geschafft.«
»Vier Wochen? Sie meinen einen Mona t ?«
»Ja, Madam.«
»Ich will aber heute einen Safe kaufen.«
»Ja, Madam, ich habe Sie durchaus verstanden. Wie ich aber schon zu erklären versuchte, muß jeder Safe gesondert angefertigt werden, und die kürzeste Zeit …«
»Mr. Chubb, Sie halten mich vermutlich für eine vollendete Närrin. Aber Sie irren sich, darf ich Ihnen versichern. Ich bin hierhergekommen, einen Safe zu kaufen, und jetzt muß ich entdecken, daß Sie keinen zu verkaufen haben …«
»Madam, bitte …«
»… sondern mir erst in einem Monat einen liefern können. In einem Monat sind aber sämtliche Briganten unserer Gegend mit ihrer Beute schon längst über alle Berge, und dann wird Ihr Safe weder für mich noch für meinen Mann von irgendwelchem Interesse sein. Ich werde mich woanders umsehen müssen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir, und vielen Dank, daß Sie mir Ihre Zeit geopfert haben.«
Damit verließ Lady Charlotte erhobenen Hauptes die Ge schäftsräume der Firma Chubb. Und Mr. Laurence Chubb jr. murmelte leise: »Frauen.«
Auf diese Weise erfuhren Pierce und Agar, daß die Überholung der Safes die Schlösser nicht betraf. Das war das einzige, was sie interessierte, und so trafen sie nun in aller Ruhe ihre letzten Vorbereitungen für den Raub, den sie am 22. Mai 1855 auszuführen gedachten.
Sauber-Willy braucht Geld
Eine Woche später wurden ihre Pläne aber wiederum empfindlich gestört. Am 17. Mai 1855 wurde Pierce ein Brief zugestellt. In anmutiger und kultivierter Handschrift stand hier zu lesen:
Sehr geehrter Herr,
ich wäre Ihnen sehr verbund e n, wenn Sie es einrichten könnten, heute nach m ittag um vier Uhr zu einem Gespräch über einige Angelegenheiten von beiderseitigem Interesse zum Palace, Sydenha m , zu ko mm en.
Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich
W illiam W illia m s, Esq.
Pierce betrachtete konsterniert den Brief. Er zeigte ihn Agar; aber Agar konnte nicht lesen, Pierce las ihm den Brief vor. Agar starrte auf die Handschrift.
»Dafür hat Sauber-Willy sich einen Fehmer genommen«, sagte er.
»Offensichtlich«, sagte Pierce. »Aber warum?«
»Vielleicht möchte er noch etwas Geld herauskitzeln.«
»Wenn’s nur das wäre, wäre ich froh«, sagte Pierce.
»Werden Sie hingehen?«
»Auf jeden Fall. Wollen Sie für mich baldowern?«
Agar nickte. »Wollen Sie, daß Barlow mitgeht? Ein guter Knüppel kann einem viel Ärger ersparen.«
»Nein«, sagte Pierce. »Das würde sie erst recht auf unsere Fährte hetzen.«
»Also schön«, sagte Agar. »Nur baldowern. Wird im Palace gar nicht leicht sein.«
»Und Willy weiß das bestimmt auch«, versetzte Pierce düster.
Hier scheint ein Wort über den Kristallpalast angebracht, jenes magische Bauwerk, das später als Symbol der viktorianischen Ära angesehen wurde. Dieser gewaltige gläserne Bau mit drei Stockwerken auf einer Grundfläche von neunzehn
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