Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Eastern Railway entfernt und der Herstellerfirma, Chubb, »zum Überholen« zugestellt worden.
»Zum Überholen?« fragte Pierce. »Was soll das heißen, ›zum Überholen‹?«
Agar zuckte die Achseln. »So wurde es mir gesagt.«
»Das sind die besten Safes der Welt«, sagte Pierce. »Die brauchen doch nicht überholt zu werden.« Er runzelte die Stirn.
»Was stimmt denn nicht mit den Dingern?« Agar zog die Schultern hoch.
»Sie haben die Schlösser verkratzt, Sie Dummkopf«, sagte Pierce. »Ich schwöre Ihnen, wenn jemand Ihre Kratzer gekneistet hat, dann …«
»Ich hab die Dinger vorher hübsch eingefettet«, sagte Agar.
»Ich weiß doch, daß sie routinemäßig nach Kratzern suchen. Nein, nein, die hatten nicht die winzigste Schramme.«
Agars ruhige Haltung überzeugte Pierce, daß der Mann die Wahrheit sagte. Er seufzte. »Warum bloß?«
»Keine Ahnung«, sagte Agar. »Kennen Sie einen Mann, der sich bei Chubb ein bißchen umsehen könnte?«
»Nein«, erwiderte Pierce. »Und ich möchte auch gar nicht erst versuchen, einen dazu zu überreden. Bei Chubb lassen sie sich nicht übertölpeln.« Das Unternehmen des Safeherstellers suchte seine Mitarbeiter mit ungewöhnlicher Sorgfalt aus. Nur nach gründlichen Nachforschungen wurde jemand eingestellt und nur mit Widerstreben jemand entlassen, und sämtliche Angestellten wurden immer wieder ermahnt, sich davor zu hüten, sich von Unterweltsgestalten bestechen zu lassen.
»Ein kleiner Trick vielleicht?« schlug Agar vor.
Pierce schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht daran«, sagte er.
»Die sind einfach zu vorsichtig; ich würde es nie schaffen, aus denen was rauszukriegen …«
Er starrte nachdenklich ins Leere.
»Was ist?« fragte Agar.
»Also, wenn ich so darüber nachdenke«, sagte Pierce »würden sie eine Dame nicht so leicht verdächtigen.«
Ein Besuch bei Mr. Chubb
Die Firma Chubb war für ihre Safes so berühmt wie später Rolls-Royce für den Automobilbau und Otis für Aufzüge.
Der Chef dieser ehrwürdigen Firma, Mr. Laurence Chubb jr. konnte oder wollte sich später nicht daran erinnern, im Mai 1855 von einer hübschen jungen Dame besucht worden zu sein. Auf einen Angestellten der Firma aber hatte die Schönheit der Dame einen so unauslöschlichen Eindruck gemacht, daß er sie genau beschreiben konnte.
Sie kam in einer eleganten Kutsche an, mit livrierten Dienern hinten auf dem Trittbrett, und betrat selbstbewußt und ohne männliche Begleitung die Firmenräume. Sie war mit äußerster Sorgfalt und Eleganz gekleidet und sprach in befehlsgewohntem Ton; sie verlangte, Mr. Chubb zu sprechen, und zwar sofort.
Als Mr. Chubb wenige Augenblicke später erschien, erklärte die Dame, ihr Name sei Lady Charlotte Simms; sie und ihr kränkelnder Mann besäßen ein Landgut in den Midlands, und einige Diebstähle in der Nachbarschaft hätten sie davon überzeugt, daß sie dringend einen Safe brauchten.
»Dann gibt es auf Gottes weiter Welt keine Firma, die Ihnen besser dienen könnte als wir«, sagte Mr. Chubb.
»Das hat man mir schon gesagt«, sagte Lady Charlotte in einem Ton, als wäre sie keineswegs restlos davon überzeugt.
»Madam, wir stellen die besten Safes der Welt her, in allen Größen und für jeden Zweck, und sie übertreffen selbst die besten deutschen Safes aus Hamburg.«
»Ich verstehe.«
»Womit kann ich Ihnen dienen, Madam? Haben Sie eine bestimmte Vorstellung?«
Hier schien Lady Charlotte trotz ihres gebieterischen Auftretens unsicher zu werden. »Ach, wissen Sie, ich suche einen, wie soll ich sagen, irgendwie großen Safe«, sagte sie mit einer vagen Handbewegung.
»Madam«, sagte Mr. Chubb streng, »wir stellen einwandige und doppelwandige Safes her; Stahlsafes und Eisensafes; Safes mit Schlössern und Safes mit Drehriegeln; tragbare Safes und für den Einbau bestimmte; Safes mit einem Fassungsvermögen von sechs Kubikzoll und Safes mit einem Fassungsvermögen von zwölf Kubikellen; Safes mit einem Schloß, Safes mit zwei Schlössern – ja, wir bauen auch drei Schlösser ein, wenn ein Kunde es verlangt.«
Diese Aufzählung schien Lady Charlotte noch mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie machte einen beinahe hilflosen Eindruck – durchaus das normale Verhalten einer Frau, die mit technischen Angelegenheiten konfrontiert wird. »Nun«, sagte sie, »ich, ach, ich weiß nicht so recht …«
»Madam, wenn Sie vielleicht unseren Katalog ansehen möchten? Er ist illustriert und gibt genaue Auskunft über unsere
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