Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
der Tinte!« sagte Agar.
Er sah sich im Packwagen um. Sein Blick fiel auf die Koffer und Gepäckstücke. »Geben Sie mir mal den Ring mit dem Drehrums, dann mach ich ein paar Koffer auf, und dann werden wir schon was Passendes für Sie finden.«
Er streckte die Hand aus, um den Ring mit den Nachschlüsseln entgegenzunehmen, aber Pierce blickte auf die Uhr. Es waren noch zwei Minuten bis zu der verabredeten Abwurfstelle. Dreizehn Minuten danach würde der Zug in Ashford halten, und bis dahin mußte Pierce den Packwagen verlassen haben und wieder in seinem Abteil sitzen.
»Dafür bleibt keine Zeit«, sagte er.
»Das ist doch die einzige Chance …« begann Agar, verstummte aber, denn Pierce musterte ihn nachdenklich von oben bis unten. »Nein«, protestierte Agar, »nein, verdammt noch mal!«
»Wir haben ungefähr die gleiche Größe«, sagte Pierce. »Los, machen Sie schon.«
Er wandte sich ab, während Agar sich unter halblauten Flüchen auszog. Pierce betrachtete die Landschaft. Sie waren jetzt kurz vor der vereinbarten Stelle: Er bückte sich und stellte die Taschen an den Rand der Schiebetür.
Jetzt sah er einen Baum am Bahndamm, eines der Erkennungszeichen, die er sich eingeprägt hatte. Gleich danach würde die kleine Mauer aus Feldsteinen kommen … Da war sie schon … und dann der rostige alte Karren. Er sah ihn.
Einen Augenblick später erblickte er eine Hügelkuppe und Barlow, der neben seiner Kutsche stand.
»Jetzt!« sagte er und schleuderte grunzend eine Tasche nach der anderen aus dem fahrenden Zug. Er sah, wie sie nacheinander auf die Erde polterten. Er sah auch, wie Barlow den Hügel hinunterlief, um sie zu bergen. Dann fuhr der Zug in eine Kurve.
Pierce blickte zu Agar zurück, der jetzt in Unterwäsche dastand und ihm seinen Sonntagsstaat hinhielt. »Hier! Und glotzen Sie nicht so.«
Pierce nahm die Kleider, rollte sie so fest zusammen wie nur eben möglich, verschnürte das Bündel mit Agars Gürtel und schwang sich ohne ein weiteres Wort durch die offene Schiebetür in den Fahrtwind hinaus. Burgess schloß die Schiebetür, und wenige Augenblicke später hörten er und Agar, wie der Riegel vorgeschoben und das Vorhängeschloß eingehängt wurde. Sie hörten, wie Pierce sich an der Seitenwand des Packwagens zum Dach hinaufhangelte.
Und dann sahen sie, wie das eben noch von Luftklappe zu Luftklappe straff gespannte Seil schlaff wurde. Gleich darauf wurde das Seil herausgezogen. Einen Moment lang hörten sie noch Pierces Schritte auf dem Dach und dann nichts mehr.
»Teufel, mir ist kalt«, sagte Agar. »Am besten sperren Sie mich gleich wieder ein.« Und damit kroch er zurück in seinen Sarg.
Pierce war noch nicht weit gekommen, als ihm aufging, daß sein Plan einen weiteren Fehler enthielt: Er war davon ausgegangen, daß er für den Rückweg genau die gleiche Zeit benötigen würde wie für den Hinweg. Jetzt sah er, daß er sich geirrt hatte.
Der Rückweg gegen den heulenden Fahrtwind dauerte sehr viel länger. Überdies behinderte ihn das Bündel mit Agars Kleidern, das er sich gegen die Brust preßte. Er hatte deshalb nur eine Hand frei, mit der er sich beim Vorwärtskriechen an dem Wagendach anklammern konnte. Es ging verzweifelt langsam voran. Nach ein paar Minuten ging ihm auf, daß er seinen Zeitplan erheblich überschreiten würde. Wenn der Zug im Bahnhof von Ashford einlief, würde er noch immer auf einem der Wagendächer sein: Man würde ihn sehen, und damit war alles verloren.
Einen Augenblick schäumte Pierce in ohnmächtiger Wut auf. Daß ausgerechnet dieser letzte Teil seines Plans einen Fehler enthielt, der nicht wieder gutzumachen war! Die Tatsache, daß er ganz allein schuld daran war, erbitterte ihn noch mehr. Er krallte sich an dem schwankenden Wagendach fest und fluchte in den Wind.
Er wußte natürlich, was er zu tun hatte. Aber er wagte nicht, daran zu denken. Er setzte den Rückweg verbissen fort, so gut er vermochte. Er war gerade auf dem vierten der sieben Zweiter-Klasse-Wagen, als er merkte, wie der Zug seine Fahrt verlangsamte. Schrill ertönte die Pfeife der Lokomotive.
Pierce sah mit zusammengekniffenen Augen nach vorn und erblickte in der Ferne den Bahnhof von Ashford, ein winziges rotes Rechteck mit einem grauen Dach. Einzelheiten konnte er nicht erkennen. Er wußte aber, daß der Zug gleich so nahe am Bahnhof sein würde, daß die Reisenden auf dem Bahnsteig ihn auf dem Wagendach entdecken mußten. Es schoß ihm durch den Kopf, was sie bei seinem
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